Nathan Jaeger
Ein Blog von Nathan Jaeger über alles, was mit seinen Geschichten zu tun hat.
Mittwoch, 30. August 2023
[Kurzroman] Maskerade mit Folgen
Freitag, 28. April 2023
[Roman] Auf Todesfälle folgen Lichtblicke
Manche Familiengeheimnisse sind schlicht undenkbar.
Aber was, wenn durch ein schlechtes Gewissen ein 35 Jahre alter Deal ans Licht kommt, der für jede Menge Chaos sorgt?
Als Sascha sich auf den Weg macht, um seinen besten Freund zu beerdigen, ahnt er noch nichts von den überraschenden Erlebnissen, die ihm bevorstehen.
Eine Geschichte über Trauer und Liebe.
~~~
Etwas Neues von Gay-fusioN gab es im Dezember.
Zu Kaufen/Leihen gibt es das gute Stück hier: KLICK
Freitag, 14. April 2023
[Leseprobe] How Spooky Boy stole my heart
1 Kopfüber in ein neues Leben
Ich liege bäuchlings auf meinem Bett und grüble.
Soll ich weiter auspacken?
Erst heute Morgen sind mein Dad und ich in dieses Haus eingezogen und natürlich
ist noch lange nicht alles an seinem Platz.
Das riesige Dachstudio mit angeschlossenem eigenem Bad, das ich nun mein
neues Reich nennen darf, sieht ziemlich wüst aus und ich frage mich, wie ich
alles bis zum Start meines Senior-Jahres an der örtlichen High-School fertig
einrichten soll.
Der dunkelblaue Teppich liegt bereits und die Wände wurden frisch
gestrichen, bevor Dad und ich hergekommen sind.
Ein Schreiner hat mein neues, riesiges Bett mit einem Regal unter der
Schräge in die Nische unter dem großen Dachfenster eingebaut. Außerdem wurde
die Giebelwand vom Boden bis zum First mit Buchregalen bestückt, in die ich
meine Schätze noch einräumen muss.
Das Zimmer meines Dads befindet sich im Anbau im Erdgeschoss, zum Garten raus,
weshalb ich hier oben absolute Ruhe haben werde!
Ich grinse blöde, weil … wofür sollte ich Ruhe brauchen?
„Christopher? Kannst du mir kurz helfen?“, ruft Dad von unten und ich
rolle mich vom Bett.
„Klar! Ich komme!“ Meine Zimmertür steht offen, momentan wäre es zu
nervig, sie ständig zu schließen, denn auch ich renne noch mit Kartons durchs
Haus, wenn ich irgendwas finde, was die Leute vom Umzugsservice falsch
abgestellt haben.
Das passiert eben, vielleicht haben wir die Kisten auch nicht deutlich
genug beschriftet.
Ich hüpfe die Treppe hinab ins Erdgeschoss, in dem das Wohnzimmer, die
offene Küche und nach hinten raus das Zimmer meines Vaters liegen.
Dad steht an der Anrichte, die unter den Fenstern zur Straße gelegen ist,
und hat haufenweise Küchenutensilien, Geschirr und Töpfe um sich herum
gestapelt.
„Was ist los?“, frage ich und verkneife mir ein Grinsen.
Dad und ich sind schon seit zehn Jahren allein. Meine Mum ist irgendwann
bei Nacht und Nebel abgehauen. Ein Kind und ein Mann erschienen ihr als
hinderlich bei ihrer Selbstverwirklichung – zumindest stand das in ihrer Notiz
an Dad, die er mir erst gezeigt hat, als ich sechzehn wurde.
Ich habe seit ihrem Weggang nichts von ihr gehört und lege auch keinen
Wert darauf.
Dad war immer für mich da und ich kann mit jedem Problem zu ihm gehen.
Deshalb war er auch der Erste, dem ich erzählt habe, dass ich Jungs
deutlich interessanter finde als Mädchen.
Ich weiß noch genau, was er damals darauf geantwortet hat: „Klasse, das
erspart dir anatomische Erkundungstouren!“
Anschließend haben wir beide uns kaputtgelacht und er hat mir von seinen
ersten Testläufen in Sachen Beziehung und Sex erzählt – was nur zu weiteren
Lachflashs geführt hat.
Mein Dad hat einen ziemlich morbiden Beruf, was ihm einen krass schwarzen
und absolut selbstironischen Humor beschert hat, den ich durchaus teile.
Er ist Gerichtsmediziner und als solcher arbeitet er ab Montag auch im
örtlichen Krankenhaus.
Ich muss zugeben, als er mir vor ein paar Monaten gesagt hat, dass wir in
den Sommerferien zwischen meinem Junior- und meinem Senior-Jahr an der High-School
in seine Heimatstadt ziehen würden, war ich nicht sonderlich begeistert, meine
Freunde und alles hinter mir lassen zu müssen, nur um in einem Jahr fürs
College schon wieder umzuziehen.
Aber andererseits habe ich nicht übermäßig viele Freunde und im Zeitalter
von Videotelefonie und Internet ist es wirklich nicht schwer, den Kontakt
aufrecht zu erhalten – wenn man es will.
Also verbringe ich mein letztes Jahr mit meinem Dad nun in Santa Flora,
einer Kleinstadt in Neuengland, genauer gesagt in Maine. Sehr abgeschieden,
sehr ländlich gelegen.
Santa Flora hat, wie ich seit meiner ausgiebigen Recherche im Netz weiß,
immerhin zehntausend Einwohner und ein sehr großes Schulzentrum, ein
respektables Krankenhaus und alle nötigen Geschäfte, auf die man nicht
verzichten will.
Die letzten zwei Stunden der Strecke, die Dad und ich mit dem nagelneuen
Truck zurückgelegt haben, nachdem wir am Flughafen gelandet sind, hat
ausschließlich dichte Laubwälder, Hügel, Klippen und Seen gezeigt.
Es ist wirklich-wirklich ländlich hier.
Allerdings muss ich zugeben, gefallen mir die Landschaft und die Ruhe,
die man offensichtlich beim Wandern finden kann, sehr.
Vielleicht entdecke ich ja einen schönen Platz an einem See, an dem ich lesen
und abschalten kann?
Das wird sich wohl noch zeigen, denn auch unser Garten und mein Zimmer
sind schon wirklich tolle Orte, um sich darin aufzuhalten, während ich auf Drachen
herumfliege oder Vampire pfähle …
Ich kichere und mir wird erst jetzt bewusst, dass Dad längst geantwortet
haben muss.
Er grinst mich an. „Na, in welcher Fantasywelt steckst du nun wieder?“,
fragt er mit neckendem Unterton.
„Sorry, ich hab über Santa Flora nachgedacht. Wie ist es für dich, wieder
in deiner Geburtsstadt zu sein?“
„Erstaunlich gut und irgendwie schräg“, sagt er. „Die Stadt ist gewachsen
und hat sich sehr verändert, seitdem ich damals weggezogen bin.“
Ich nicke verstehend. „Ja, kann ich mir vorstellen. Also? Wie kann ich
dir im Weg herumstehen?“
Er lacht. „Könntest du die Töpfe in die großen Laden unterm Kochfeld
räumen, während ich überlege, wo ich die ganzen Teller, Tassen und Gläser
unterbringe?“
„Sicher. Ich vermute, wir bestellen uns was, weil wir die Küche nicht
rechtzeitig fürs Dinner fertig kriegen?“
„Mein schlauer Sohn! Allerdings wollte ich heute mit dir in den Diner
gehen, in dem sich zu meiner Zeit die Jugend getroffen hat. Lust?“
Ich schürze nachdenklich die Lippen. „Ja, wieso nicht? Ist schließlich
Freitag und ich habe weitere drei Wochen vor mir, bis die Schule losgeht.
Vielleicht sollte ich bis dahin herausfinden, wo man hier hingehen kann und wo
lieber nicht?“
„Das bekommst du sicher sehr schnell heraus. Außerdem kann ich dir auf
dem Weg dahin den Buchladen zeigen …“ Seine Augenbrauen wackeln auf und
ab, während er mich wissend angrinst.
Klar, wenn ich eine Droge habe, von der ich immens abhängig bin, sind es
Bücher!
„Oh, das klingt super, dann weiß ich wenigstens, wo ich mich herumtreiben
kann, wenn es regnet oder mir der Lesestoff ausgeht.“
„Hattest du nicht schon einen Lageplan von allen für dich interessanten
Orten erstellt?“, fragt er erstaunt.
„Ich habs versucht, aber Google Maps hat mir keinerlei
Street-View-Ansichten ausgespuckt.“
Er nickt. „Dann lass uns hier fertig werden und anschließend gehen wir
essen.“
~*~
Es ist erst achtzehn Uhr, als wir uns auf den Weg zum Diner machen, der
an der Hauptstraße gegenüber einem Heilsarmee-Laden liegt.
Hier im Zentrum stehen noch wirklich schöne historische Häuser, die
verraten, wie alt Santa Flora sein muss.
Zahlen sind dahingehend immer so abstrakt! Aber die Gebäude zu sehen und
quasi das Alter einatmen zu können, hat etwas für sich.
Ein paar hundert Meter die Straße rauf liegen, wie Dad mir verrät, das
Gerichtsgebäude, das Rathaus und die Bibliothek, die allesamt noch aus
Gründerzeiten stammen.
Außerdem liegt der langgezogene Innenstadtpark mit Skatebahnen, riesigem
Spielplatz und einem großen Teich gegenüber den drei historischen Gebäuden.
Der Diner, vor dem wir schräg einparken, weil die Straßen hier
unglaublich breit sind, hat große Glasfronten und die typischen lederbezogenen
roten Bänke in Nischen. Die Beleuchtung strahlt nach draußen auf den Gehsteig
und wir gehen hinein, um mehr oder weniger sofort angestarrt zu werden.
Nun ja, ich fürchte, nicht Dad, sondern ich werde von oben bis unten
gemustert.
Viele der Nischen sind belegt, aber ich entdecke eine freie und stupse
Dad an, bevor ich darauf zu gehe.
Er folgt mir nicht sofort, sondern tritt an einer Stelle, an der die
Barhocker an der Theke nicht belegt sind, auf die Frau zu, die dahinter steht.
„Hey Marjorie, wie geht es dir?“, fragt er.
Während ich mich auf eine der Bänke plumpsen lasse, sehe ich, wie sie ihn
erstaunt mustert und dann loskreischt. „Ist es zu glauben! Jimmy! Jimmy komm
nach vorn! Patrick ist wieder in der Stadt!“
Ich grinse vor mich hin und schnappe mir die Karte, die neben Ketchup,
Majo und Serviettenspender am Fenster auf dem Tisch steht, um schon mal zu
sehen, was ich hier essen will.
Es dauert nicht lange, dann setzt Dad sich mir gegenüber hin und die
Kellnerin bleibt vor dem Tisch stehen.
„Du bist also Patricks Sohn Christopher?“, fragt sie das Offensichtliche
und ich nicke trotzdem.
„Stimmt genau. Freut mich!“, sage ich und ergreife ihre ausgestreckte
Hand, um sie zu schütteln.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, versichert sie fröhlich
lachend und nimmt nach ein bisschen Smalltalk unsere Bestellungen auf.
Ein Cheeseburger mit Spiralfritten und einem gemischten Salat steht eine
Viertelstunde später vor mir, während Dad sich ein Steak mit normalen Fritten –
und natürlich keinen Salat – bestellt hat.
Ich muss zugeben, es schmeckt richtig geil, und ich nehme mir vor, öfter hierher
zu kommen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du hier sofort auffallen würdest“, murmelt
Dad und deutet mit einem subtilen Nicken hinter mich.
Ich müsste mich komplett umdrehen, um nachzusehen, wovon er spricht,
deshalb hebe ich nur die Schultern. „Vielleicht gibt es hier nicht so viele
Leute in meinem Alter und ein Neuer kann nicht unbemerkt bleiben?“, schlage ich
vor.
Dad kichert. „Wenn du mich fragst, sehen die Kids da aus, als wäre mein
Sohn das achte Weltwunder …“
„Na klar!“, maule ich und gucke mich nun doch kurz um, während ich
versuche, so zu tun, als hielte ich Ausschau nach Marjorie.
Okay, die Jugendlichen, von denen Dad spricht, sind schnell ausgemacht.
In zwei Nischen jenseits der Eingangstür sitzen bunt gemischte Reihen von Jungs
und Mädchen, die natürlich versuchen, mich zu ignorieren, als ich sie kurz
ansehe.
Ich drehe mich wieder um und grinse in mich hinein.
„Der Neue zu sein, das ist etwas, was ich noch nie erlebt habe“, sage ich
mehr zu mir selbst.
Bislang sind Dad und ich nie nennenswert umgezogen und ich war entsprechend
keine Kleinstadtsensation.
„Du wirst es hinkriegen, da bin ich sicher.“
Ich grinse. „Danke für dein Vertrauen, Dad!“, albere ich. „Wenn ich es
recht bedenke, bietet es ja auch einige Möglichkeiten.“
„Genau so sehe ich das auch, Chris! Du solltest in deinem letzten
Schuljahr endlich mal ein wenig aus deiner Komfortzone herauskommen und etwas
mehr leben. Die Bücher laufen dir nicht weg, deine Jugend schon.“
Ich weiß, er hat recht, aber es ist mir nie leichtgefallen, auf andere
zuzugehen.
Klar, ich habe das gemacht, was alle in Los Angeles machen – surfen,
schwimmen, sonnenbaden. Entsprechend sehe ich aus, was an einem Ort wie diesem
schon dafür sorgen dürfte, dass ich auffalle.
Dabei habe ich mich in LA immer darum bemüht, nicht aufzufallen!
Jetzt werde ich mich entweder umgewöhnen oder damit leben müssen, dass
ich als braungebrannter Surfertyp abgestempelt werde …
Ich sehe kurz an mir herab.
Enge Jeans und ein slimfit T-Shirt, momentan sogar noch einen Hoodie von
meiner alten Schule in Los Angeles.
Letzteren habe ich an, weil es hier in Neuengland trotz der Tatsache,
dass wir uns in der zweiten Augustwoche befinden, im Vergleich zur Westküste
echt kühl ist.
Ich kann nur hoffen, dass ich mich an diesen Klimawechsel bald anpasse,
denn eigentlich mag ich meine zahlreichen abgeschnittenen Jeans und die
Tanktops sehr gern, die vorerst wohl in meinem Schrank vermodern werden.
Ein Seufzen entkommt mir.
Mit den langen Ärmeln muss ich vielleicht auch nicht mehr ständig meine vielen
Lederarmbänder oder die Uhr mit dem extrabreiten Lederriemen tragen, um zu
verdecken, was ich am liebsten nie wieder sehen würde …
Um mich von diesen düsteren Gedanken abzulenken, blicke ich durch die
Glasfront des Diners zur Straße.
Der Heilsarmee-Laden macht gerade zu und mir bleibt der Mund offen
stehen, als ich den Typen entdecke, der die Angebotsständer vom Gehweg in den
Laden schiebt.
Groß, sehr nett gebaut, ein wahnsinnig schönes Lächeln, das er gerade
einer vorbeigehenden Frau schenkt, die offenbar mit ihm spricht. Dazu dunkles
Haar, das er zu einem unordentlichen Man Bun gebunden trägt.
Verdammt! Der Kerl ist unglaublich sexy!
Ich beobachte ihn weiter, bis er die Ladentür abschließt und weggeht.
Dad und ich haben unsere geleerten Teller eben von uns geschoben, er
trinkt noch einen Kaffee und ich bestelle einen Milchshake bei Marjorie.
Immerhin muss ich herausfinden, ob die Shakes mit denen aus L.A. mithalten
können.
Genüsslich sauge ich an dem breiten Strohhalm und nicke vor mich hin.
„Na? Schmeckt er dir?“, fragt Dad und grinst breit. „Den Schokoshake habe
ich damals geliebt. Heute schlägt er mir vermutlich auf die Linie, wenn ich in
meine alten Gewohnheiten zurückfalle.“
Ich kichere. „Dann werde ich dein Vermächtnis heroisch fortführen und ihn
dir zu Ehren trinken“, sage ich und grinse frech.
Dad lacht. „Gute Idee!“
„Was meinst du? Hat der Buchladen wohl noch auf?“, frage ich und sehe auf
meine Armbanduhr.
„Oh, das könnte ein Problem werden, fürchte ich. Zumindest kann ich mir
nicht vorstellen, dass die Geschäfte hier besonders lange geöffnet sind.“ Dad
sieht mich bedauernd an. „Aber du könntest Marjorie fragen, sie sollte so etwas
wissen.“
Marjorie kommt am Tisch vorbei und ich frage sie wegen des Buchladens.
„Oh, der hat noch auf. Wenn du dich beeilst, solltest du von Quentin noch
bekommen können, was du haben willst“, erklärt die Kellnerin.
„Das wäre klasse! Ist es okay, wenn ich schnell losgehe?“, wende ich mich
an Dad und er nickt. „Ich warte hier auf dich.“
„Cool, dann bis später!“
~*~
Ich jogge die Hauptstraße hinauf und biege ab, um den Laden zu erreichen,
den Dad mir vorhin gezeigt hat.
Von vorn sieht man lediglich ein vielleicht fünf Meter breites
Schaufenster mit seitlich gelegener Tür.
Die Holzrahmen von Tür und Fenster sind in dunklem Blau lackiert und auf
dem Glas der Tür, die ich nun nach innen schiebe, ist der Name des Geschäfts in
einer Art Filmrollenschrift aufgeklebt: Wordscapes – das Kino für den Kopf.
Klingt spannend!
Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss gleiten und sehe mich um.
Der Raum ist hell und trotzdem irgendwie gemütlich. Zahlreiche Holzregale
mit Genre-Beschriftungen und den entsprechenden Büchern gefüllt, erwarten mich.
Ein schneller Rundumblick und ich wende mich zur Fantasy-Abteilung, die
laut einem Schild, das von der Decke hängt, weiter hinten im Ladenlokal liegt.
Unterwegs komme ich am niedrigen Verkaufstresen vorbei und grüße den
älteren Mann, der dahinter in einem Sessel sitzt und liest.
„Guten Abend!“
„Oh, guten Abend, junger Mann! Wie kann ich helfen?“, fragt er, klappt
das Buch ordentlich zu und steht auf.
Ich lächle. „Ich … bin neu in der Stadt und wollte mich bei Ihnen
umsehen, damit ich weiß, wo ich zukünftig meine Lesesucht befriedigen kann.“
Er nickt und ich sehe es in seinen grauen Augen aufblitzen. „Du musst Patricks
Junge sein! Ich hätte nicht gedacht, dass er dir das Lesen nähergebracht
hat …“
„Ja, das stimmt. Ich bin Christopher Simmons. Sie kennen also meinen
Vater?“
Der Mann nickt. „Ein Tunichtgut der allerschlimmsten Sorte, aber sag ihm
nicht, dass ich es dir verraten habe, ja? Er hat wegen einer verlorenen Wette
einmal gemeinsam mit dem Bürgermeister und dem Schuldirektor mein Schaufenster
beschmiert.“
Ich staune und habe ganz sicher tellergroße Augen. „Mein Vater soll so
etwas …?“
Der Mann winkt ab. „Alles Schnee von gestern, damals waren sie noch an
der High-School. Komm nur, welche Abteilung reizt dich denn, mein Junge?“
„Fantasy. Sowohl klassisch als auch urban“, erwidere ich und folge ihm.
Das Geschäft ist nach hinten hin wirklich lang und die Regale mit meinen
Lieblingsgeschichten sind vollgestopft mit allem, was mein Leserherz begehren
könnte.
„Wahnsinn! Eine solche Auswahl!“, lobe ich überrascht und trete näher an
das Regal mit Urban Fantasy. „Können Sie mir etwas empfehlen? Ich habe zwar
schon ziemlich viel gelesen, aber vielleicht gibt es was, was hier in der
Gegend spielt?“
Er kichert. „Da gibt es jede Menge! Neuengland ist ja auch historisch
betrachtet eine Fundgrube für mystische Geschichten!“
„Und womit sollte ich anfangen? Hexen? Fabelwesen?“, frage ich, nachdem
ich die Reihen mit den Neuengland-Büchern durch seine Geste gefunden habe.
„Die Geschichten über Vampire sind bei den Leuten in deinem Alter sehr
beliebt. Nach all dem Glitzerkram der vergangenen Jahre will der Hype um solche
Geschichten nicht nachlassen.“
„Verstehe. Ich mochte die Biss-Reihe sehr gern, muss ich zugeben. Der
Bruch mit allen möglichen Vampirklischees war erfrischend.“
Der Buchhändler lächelt und wendet sich zur Tür, als die Klingel einen
weiteren Kunden ankündigt.
„Kommst du zurecht?“, fragt er und ich nicke, bevor er in Richtung
Kassentheke davon geht.
Ganz in Ruhe suche ich die Regale nach etwas ab, das mich anspricht.
Immer wieder ziehe ich einzelne Bücher aus den Reihen und sehe mir das Cover
und den Klappentext an.
Dieses hier klingt interessant!
Es geht um eine Kleinstadt in Vermont, in der Vampire heimlich die Fäden
ziehen und ganz normal und unentdeckt unter den Menschen leben.
Ja, das Ding geht mit mir nach Hause!
Ich nicke vor mich hin und wende mich zum vorderen Teil des Ladens, nur
um mit der rechten Schulter in jemanden hineinzulaufen.
„Oh!“, mache ich, trete einen hastigen Schritt zur Seite und hebe den
Blick von dem Buch zu meinem unerwarteten Hindernis.
Ich starre mein Gegenüber von oben bis unten an und sehe schließlich in
seine Augen.
Dunkelgrün, Petrol.
„Na? Siehst du irgendwas, was dir gefällt?“, fragt der Typ mit einem
herausfordernden Grinsen.
„Kann nicht klagen“, erwidere ich und mustere seine Frisur einen
Augenblick lang.
Das längere Deckhaar fällt um seine Schläfen und hat dieselbe Farbe wie
seine Augen. Petrolgrün.
Allerdings mit einem zusätzlichen silbrigen Schimmer.
Er lacht leise und mir wird bewusst, dass er mich ebenso von oben bis
unten beäugt.
„Dito“, sagt er schließlich und nickt beifällig. „Wie heißt du?“
„Wer will das wissen?“ Dieses Spielchen kann ich auch spielen!
Er grinst breiter. „Ganz schön frech, Newbie“, befindet er und klingt zu
meiner Verwunderung anerkennend.
„Wenn du weißt, dass ich neu bin, kann es hier wohl nicht allzu viele
Jugendliche geben, was?“
Er hebt die Schultern, dass seine schwarze Lederjacke leise knarzt.
„Sagen wir, ich würde mich daran erinnern, wenn ich dich schon mal gesehen
hätte.“
„Du hast also ein gutes Gedächtnis. Gratulation!“, sage ich leicht
ironisch. Irgendwie hat dieser Typ was … Ich muss herausfinden, wer er
ist!
„Ja, habe ich, Newbie. Und? Erfahre ich deinen Namen?“
Ich schüttle den Kopf. „Den muss man sich verdienen.“
Mir kommt gerade sehr zugute, dass ich in Los Angeles aufgewachsen bin.
Da herrscht definitiv ein anderer, sehr viel selbstbewussterer Ton als in einem
Kaff wie Santa Flora.
Ihm scheint das zu gefallen.
„Dann solltest du mir verraten, wie ich das schaffe.“
„Ganz einfach“, sage ich und gehe extra-dicht an ihm vorbei, meine Augen
fest auf seine geheftet. „Überrasch mich.“
Ich wende mich mit einem frechen Grinsen um und gehe zum Tresen, hinter
dem der Buchhändler wieder in seinem Sessel Platz genommen hat.
Mit meinem nagelneuen Buch verlasse ich wenig später den Laden und kehre
zum Diner zurück.
Natürlich lassen mich die Gedanken an den Typen mit den grün-blauen
Haaren nicht los.
Als ich so dicht an ihm vorbei gegangen bin, habe ich seinen Duft
eingeatmet und grüble seitdem, wonach genau er gerochen hat. Es war eine
Mischung von ein paar Sachen, die ich wirklich gern rieche. Zimt und
Sandelholz, oder so …
Jedenfalls roch er wahnsinnig gut und wenn ich bedenke, wie affengeil er
aussah …
Dümmlich grinsend setze ich mich wieder in die Nische zu meinem Dad und
lege meine Beute auf den Tisch.
„Ah! Du warst erfolgreich!“, sagt er und zieht sich das Paperback über
den Tisch heran, um es genauer anzusehen und umzudrehen. Er studiert den
Klappentext und kichert. „Hoffst du heimlich darauf, dass Santa Flora auch so
ist?“
Er neckt mich, das weiß ich genau, deshalb lache ich kopfschüttelnd. „Mir
reicht es, wenn ich in meiner Fantasie mit Vampiren zu tun habe.“
„Dann hoffe ich, die Geschichte ist gut“, erwidert er und gibt mir das
Buch zurück.
„Sie birgt jedenfalls Potential, würde ich sagen“, erkläre ich und
bestelle noch einen Schokoladenmilchshake bei Marjorie.
[Roman] How Spooky Boy stole my heart
Jeder 18-Jährige, der für das letzte High-School-Jahr von Los Angeles in eine Kleinstadt in Maine verschleppt werden soll, würde seinem Dad den Krieg erklären.
Nicht so Christopher Simmons.
Die ruhigen Wälder und Seen um Santa Flora
versprechen ihm das richtige Ambiente, um stilecht in seinen heißgeliebten Fantasy-Geschichten
abzutauchen.
Als braungebrannter Surferboy widerspricht
Christopher dem Klischee eines Bücherwurms und überrascht damit nicht nur den
örtlichen Buchhändler, sondern auch den schlagfertigen Typen mit den
Bad-Boy-Vibes.
Christopher ist – dank der Überredungskünste
seines Dads – fest entschlossen, seinen Status als ‚der Neue‘ dazu zu nutzen, sich
kopfüber aus seinem Schneckenhaus ins echte Leben zu stürzen.
Dass er dadurch nicht nur neue Freunde findet,
sondern auch unabsichtlich eine Seite in einem Konflikt wählt, von dem er keine
Ahnung hat, sorgt für einen chaotischen Start ins neue Schuljahr.
Doch neben den Dingen, die zum Alltag eines
Senior-Schülers gehören, tauchen auch etliche Mysterien auf.
Wieso kursieren so unglaublich viele
Monstergeschichten über die Wälder unter seinen Mitschülern?
Wieso hat sein Dad als Gerichtsmediziner
gerade so viel zu tun?
Und wieso, zum Henker, lauert ihm Spooky Boy
immer wieder an den unmöglichsten Orten auf?
Zu finden ist diese brandneue Geschichte von mir hier: KLICK
Freitag, 7. April 2023
Von Ostern und Fakten ... und von den Deppen, die nichts kapiert haben.
Vorweg, ich bin nicht gläubig im Sinne der katholischen Kirche und folge auch keinem anderen Glauben.
Ich bin Agnostiker und brauche Beweise, was dem Grundsatz eines Glaubens nun mal widerspricht.
Dennoch möchte ich diesen Post dazu nutzen, mich zum Thema Religion, Glaube und … den anderen zu äußern.
Man muss bekanntlich nicht alles schön, toll und logisch finden, was andere so machen, sagen oder zum Ausdruck bringen, aber man kann es achten.
Achten bedeutet, dass man sich nicht verunglimpfend oder negativ darüber auslässt oder gar lustig macht, was andere glauben/machen/sagen.
Es gibt Ausnahmen, wo auch ich klar eine Gegenstimme darstelle, da hätten wir zum Beispiel das Neonazitum. Da werde ich niemals meinen Mund halten, weil historische Fakten außer Acht (!!) gelassen und verdreht oder gar heruntergespielt werden.
Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern vielmehr darum, dass ich meine Meinung zum aktuell grassierenden Kram auf Facebook sagen will.
Ich sehe das folgendermaßen:
Wer glaubt, deshalb einer Glaubensgemeinschaft angehört und in dieser Gemeinde/Gemeinschaft die Feste und Trauertage des jeweiligen Glaubens leben möchte, verdient sich damit meine absolute Hochachtung und meine aus tiefstem Herzen kommende Freude.
Ich finde es schlichtweg toll für denjenigen, der sein Glück, sein Vertrauen, seinen Sinn oder seine Gemeinschaft in der Kirche findet!
Anmerken muss ich, dass ich damit natürlich die Basis meine, die Gläubigen. Die, die sich in ihrer Kirche treffen, um gemeinsam etwas zu feiern. Um gemeinsam zu singen oder zu trauern.
Mir geht es hier nicht um großpolitische oder organisatorische Dinge wie die Kirchenhierarchie oder deren Umgang mit schweren Straftaten.
Mir geht es um die einfachen Menschen, die keine Priesterweihe haben, sondern einfach glauben.
Diese Menschen verdienen Respekt – ein offenbar ausgestorbenes Gut.
Heute ist Karfreitag, der höchste Trauertag der katholischen Kirche. Historisch (alttestamentlich) gab es schon vor der Kreuzigung Jesu Christi ein Fest wie das Osterfest, aber im Neuen Testament hat man alles ein wenig angepasst.
Das ist in Ordnung so!
Auch ein Glaube lebt und entwickelt sich. Neue Propheten können neue Erkenntnisse mit sich bringen.
Die Bibel an sich ist ein Buch. Ein unschuldiges, von vielen Menschen sehr unterschiedlich interpretiertes Buch.
Manche sehen es in bestimmten Punkten als Geschichtsbuch an, ganz objektiv, wertungsfrei.
Andere halten sie für das größte Lügen-/Märchenbuch aller Zeiten.
Auch das ist in Ordnung.
Jeder entscheidet für sich, was er wie sehen will.
Der Glaube ist genauso. Man glaubt, was man glauben will, denn wir sind mündige Menschen mit eigenem Urteilsvermögen.
Man muss die Institution Kirche, das hierarchische und für viele antiquierte Gebäude der Kirche nicht toll finden, um zu glauben.
Das ist nämlich das Schöne daran, Glaube ist eine der wenigen Sachen, bei denen wir ab einem gewissen Alter vollkommen selbstbestimmt entscheiden dürfen.
Aber genug davon, mir geht es heute um diejenigen, die den Glauben anderer verunglimpfen und schlechtmachen.
Heute habe ich zum Beispiel ein Posting gesehen, indem behauptet wird, die katholische Kirche sei unseriös, weil sie den Osterhasen und das Suchen von Ostereiern erfunden hätte.
Tja, damit hat der Verfasser dieses Bildes auf eine geradezu fremdschäm-peinliche Art demonstriert, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Das Färben der Eier und das Verstecken, sowie die Geschichte um den Osterhasen ist von Eltern für ihre Kinder erdacht worden.
Nicht von der Kirche.
Man hat die Eier, die in der Fastenzeit nicht gegessen werden durften, gesammelt und je nach Alter mit einer Farbe versehen.
Zu Ostern durften sie ja wieder gegessen werden und man wusste, wie alt welches Ei ist.
Versteckt wurden sie, um den Kindern eine kleine Gaudi zu bescheren. Mehr nicht.
Und der Osterhase hat das Rennen gegen diverse andere Tiere gewonnen, weil Hasenbabys die ersten im Jahr sind. Weil der Hase damit für (Wieder-)Geburt des Jahreszyklus und für Leben steht.
Die Kirche hat das nicht erdacht, und es ist unsagbar dämlich, etwas anderes zu behaupten.
Ich warte schon auf die Postings, in denen dann steht, dass der Vatikan die Firma Coca-Cola dafür bezahlt hat, den Weihnachtsmann zu erfinden.
In meiner Kindheit kam der nicht vor. Wir hatten ein Christkind, das die Geschenke brachte.
Und das war schön so.
Wenn ich dann in Kommentaren so was lese wie ‚Latten Jupp‘, als Synonym für ‚Jesus Christus‘, dann habe ich als nicht Gläubiger echt den Kaffee doppelt auf.
Kriegt eure Fakten auf die Reihe, bevor ihr euch als die Oberdeppen der Nation outet!
Jupp ist die Kurzform von Joseph. Und soweit mir bekannt ist, war nicht Jesus’ Vater derjenige, der ans Kreuz genagelt wurde.
Ehrlich, so was regt mich auf!
Lasst diejenigen, die glauben möchten, die ihr Wohl und Heil im Glauben gefunden haben, doch einfach mal in Ruhe!
Wenn ihr Ostern nicht feiern wollt und am Karfreitag nicht trauern wollt, dann lasst es doch einfach.
Aber lasst es leise und so, dass sich die Gläubigen nicht angegriffen fühlen müssen.
Lasst es und seid glücklich mit euer ganz selbstbestimmten Entscheidung.
Niemand will euch missionieren.
Es ist einfach eine Form von Respekt, heute keine laute Mucke zu hören und einen Tag im Jahr mal nicht zu tanzen. Weil … ihr tanzt sonst ganz sicher jeden Tag, nicht wahr? Was für eine Strafe, es heute nicht zu dürfen. Da wagt es jemand, euch einzuschränken!
NEIN!
Das wagt niemand. Tanzt, lacht, habt Spaß bei allem, was euch an einem freien Tag so einfallen könnte.
ABER!
Lasst diejenigen in Ruhe das tun, was sie tun möchten, die anderes glauben als ihr.
Das ist keine Einbahnstraße, kein die gegen uns.
Es ist simpler, allumfassender Respekt für andere Menschen.
In diesem Sinne wünsche ich allen (ja, allen) ein schönes langes Wochenende und hoffe, dass den Gläubigen unter uns erspart bleibt, ihren Glauben in den Dreck gezogen zu finden.
Da gehört er nicht hin. Punkt.
Glaube ist etwas Edles, etwas Gutes.
Hört auf, die Fehlentscheidungen und schrecklichen Vergehen der höheren Ränge innerhalb des Kirchenkonstrukts auf die Menschen zu beziehen, die einfach nur glauben wollen.
Wer bis hierhin gelesen hat, weiß nun auch, wen ich mit Deppen meinte.
Und wer bis hierhin gelesen hat, dem wünsche ich ein besonders schönes Osterfest.
Den Gläubigen unter uns wünsche ich, dass der Fisch oder die Püfferkes (die es wahlweise in meiner Heimatstadt am Karfreitag zu essen gibt) schmecken.
Gerry und ich essen heute Fisch. Keine Wurst, kein Fleisch. Einfach, weil wir respektieren, dass der heutige Tag für andere ein sehr wichtiger und bemerkenswerter ist.
Hier läuft heute auch keine laute Mucke, obwohl wir kaum noch christliche Nachbarn haben.
Man kann einen solchen Tag einfach mal so sein lassen, wie er ist.
Ja, ich weiß, ich war zickig, altklug und wichtigtuerisch in diesem Posting. Aber ich habe auch versucht, gerecht zu sein, meine Mitmenschen achtend.
Ich bin ein respektvoller Mensch und mein ganz privater Gerechtigkeitssinn hat mich dazu gebracht, nach langer Zeit mal wieder ein Blogpost zu verfassen.
Vielleicht sollte ich dafür auch dankbar sein. Für die Kontroverse, die dafür gesorgt hat, dass Gerry und ich heute schon ein stundenlanges Gespräch zu dem Thema hatten. Ein gutes Gespräch, auch wenn es mich davon abgehalten hat, meine (leise) Arbeit zu tun.
Macht es gut und denkt an andere, das ist der Schlüssel zum Miteinander, um das viele Menschen die Gläubigen beneiden dürften. (Ich selbst bin manchmal sehr neidisch auf diejenigen, die in ihrem Glauben aufgefangen werden.)
Friede sei mit euch!
Nathan/Colin
Danke an alle, die es sogar bis hierhin geschafft haben.
Freitag, 2. Dezember 2022
[Leseprobe] Daddys Vermächtnis - Der erste Fall für Brady & Wolf
Brooks ~ Jagdzeit
Ich liege bäuchlings im Gestrüpp und betätige
wieder und wieder den Auslöser meiner Kamera. Für dieses Motiv würden andere
vermutlich morden, aber von mir, Brooks Ewing, erwartet man solche Bilder.
Wer in Kanada eine Dokumentation über Wölfe machen
will und dazu eine Fotostrecke benötigt, fragt mich.
Dabei sind Wölfe nicht die einzigen Wildtiere,
die ich fotografiere.
Momentan ist mein Objektiv allerdings wirklich
auf diese wunderschönen Caniden gerichtet.
Eine im Gras liegende Fähe mit drei Welpen,
die um sie herumtoben und sich gegenseitig in die winzigen Ohren beißen.
Der Anblick entlockt mir ein Lächeln.
Unbestritten, ich mag Wölfe!
In diesem Fall sind es die sehr groß
wachsenden Mackenzie-Wölfe, die hauptsächlich in der Westhälfte Kanadas
vorkommen.
Die beinahe schwarze Wölfin und ihre noch sehr
gescheckt aussehenden Jungtiere, die etwa zwölf Wochen alt sein dürften, sind
keine drei Meter von mir entfernt und nehmen mich dennoch nicht als Bedrohung
wahr.
Woran genau das liegt, weiß ich nicht, denn
auch wenn ich ein wenig ungewöhnlich bin, wäre meine Andersartigkeit eigentlich
ein Grund für pure Aggression mir gegenüber.
Wölfen droht in British Columbia ständig große
Gefahr durch Menschen, denn sie sind zum Abschuss freigegeben.
Für mich eine traurige Realität, die sich aber
aus der starken Population ergibt.
Meine Waffe ist jedoch eine Digitalkamera,
kein Gewehr.
Vielleicht macht das schon den entscheidenden
Unterschied?
Genervt schüttle ich den Kopf, weil ich
darüber nicht nachdenken will.
Ich bin hier, um Fotos zu machen, nicht um
mein Selbst zu ergründen.
Ein leises Knistern neben dem Gebüsch, unter
dem ich größtenteils liege, lässt mich die Kamera senken und den Atem anhalten.
Der rasche Blick nach vorn verrät mir, dass
sowohl die Fähe als auch ihre drei Welpen noch dort sind, weshalb ich den Kopf
nach rechts drehe und innerlich fluche.
Logisch, die Wolfsmutter ist das Alphaweibchen
des Rudels und sie wird niemanden außer ihrem Gefährten so nah an ihren
Nachwuchs lassen.
Ebenjener steht, interessiert an meinem
Hosenbein schnüffelnd, da und scheint sich nicht darüber klar zu sein, was er
mit dem in Wald-Camouflage eingefärbten Stoff tun soll.
Ruhig atme ich durch und drehe mich, die
Kamera in der Linken, auf die Seite, um ihn zu mustern.
Geez, der Alpharüde ist ein ausgesprochen
stattliches Exemplar und dürfte um die achtzig Kilo wiegen, also locker
fünfundzwanzig Kilo mehr als ich.
Mackenzie-Wölfe sind die größte Unterart aller
Wolfsgattungen und der Rüde neben mir misst von Nasen- bis Schwanzspitze ganz
sicher über zwei Meter.
Er hat eine schwarze Decke, während seine
langen Beine in Braun und Schwarz gescheckt sind.
Stünde ich direkt neben ihm, wären seine
Schultern auf Höhe meines Beckens, sein Kopf auf Höhe meines Bauches.
Mir wird ein wenig anders, auch wenn ich aus
den vergangenen Jahren weiß, dass ich derartige Begegnungen immer unbeschadet
überstanden habe, weil ich eben nicht bedrohlich wirke.
So nah ist mir allerdings noch kein wild
lebender Wolf gekommen!
Sollten er und seine Gefährtin beschließen,
dass ich nun doch eine Gefahr bin, habe ich schlicht keine Chance – egal in
welcher Gestalt.
Um den neugierigen Rüden von diesem für mich
tödlichen Entschluss abzubringen, bleibt mir nur, möglichst unterwürfig zu sein
und genau das auch durch meine Körpersprache zu zeigen.
Also weiter auf den Rücken rollen und den
Blick senken.
Die Kamera in meiner Hand richte ich auf ihn,
ohne sie großartig zu heben, und betätige auf gut Glück den Auslöser.
Solche Fotos habe auch ich noch nie geschossen
und sie wären verdammt viel Geld wert!
Der Rüde kommt näher, schnüffelt nun auch an
meiner Weste und wirkt noch immer eher neugierig als aggressiv, weshalb ich es
schaffe, mich ein wenig zu beruhigen und den Finger auf dem Auslöser zu halten.
Seine feuchte Nase ist nur noch Zentimeter von
meiner entfernt, mein Blick wieder gesenkt, deshalb zucke ich zusammen, als er
mich plötzlich anniest und danach von mir ablässt.
In einem kleinen Bogen, den die Alphawölfin zu
dieser Zeit des Jahres ganz sicher auch von ihrem Gefährten einfordert,
umrundet er sie und ihre Welpen, und ich rolle zurück auf den Bauch, um alles
in Bildern festzuhalten.
Sie belauert ihn ganz anders, als sie meine
Anwesenheit beachtet hat, vielleicht ist auch das Teil seiner Entscheidung
gewesen, dieses komische Menschlein im Gebüsch in Ruhe zu lassen?
Die zwei sind nicht die Anführer ihres Rudels,
weil sie Fehlentscheidungen getroffen oder eigenmächtig gehandelt haben.
Eine Sache, die ich an Wölfen und ihrer
Lebensstruktur zugleich sehr liebe und verabscheue.
Verrückt, ich weiß, aber es hat eben
persönliche Gründe.
Jetzt nur nicht wieder abdriften!
Ich mache noch ein paar Fotos, dann ziehe ich
mich langsam zurück. Stück für Stück auf allen vieren, bis ich den nötigen
Abstand erreicht habe und aufstehen kann, ohne dass mich jemand als Bedrohung
ausmacht.
Gemütlich wandere ich mehr als eine Stunde
lang zurück zu meinem Zeltplatz und überlege, ob ich jetzt schon zusammenpacken
sollte.
Ein Blick auf meine Uhr verrät, dass ich noch
ein paar Stunden habe, bevor ich mit meiner Ausrüstung wieder am Parkplatz nahe
dem Garibaldi Lake sein sollte.
Außerdem habe ich Hunger.
An meinem getarnten und gut abgesicherten Zelt
angekommen, lege ich die Kamera weg und kümmere mich darum, meinen mittlerweile
knurrenden Magen zu füllen.
Während der Gaskocher das Wasser für meine
gefriergetrockneten Nudeln mit Tomatensoße erhitzt, sehe ich mir die heutige
Ausbeute an.
Erst zu Hause in Nord-Vancouver werde ich die
Dateien auf meinen Laptop ziehen und mir in Ruhe alle Details ansehen können,
aber speziell die letzten Bilder will ich checken. Ich habe schließlich noch
keine Ahnung, ob ich den an mir schnüffelnden Alpha in brauchbarer Weise drauf
habe, oder nicht.
Ha! Die Serienbilder sind tatsächlich scharf
und zeigen, wie nah er mir gekommen ist!
Ich freue mich sehr darüber und überlege
bereits, welchem der zahlreichen Magazine, für die ich freiberuflich arbeite,
ich die Bilder anbieten will. Auch wenn ich sie zuerst immer dem National
Nature Magazine anbiete, weil das vertraglich so geregelt ist, kämen auch
einige andere Hefte infrage.
Nach dem Essen beginne ich mit dem Abbau,
verstaue alles in und an meinem Rucksack und mache mich auf den etwa zwei
Stunden dauernden Fußmarsch durch die Berge zurück zum Parkplatz.
Direkt am Garibaldi Lake wären zwar
auch Möglichkeiten zum Campen gegeben, aber da sind zu viele Touristen. Für
Fotos, wie ich sie machen will, muss ich eben ein paar Meilen Wanderung in Kauf
nehmen.
Wenn ich mehr Zeit habe, fahre ich deutlich weiter
nördlich ins Interior Plateau von British Columbia oder mache einen
ausgedehnten Hike durch die Landschaften von Vancouver Island, aber da ich am morgigen Montag ein Treffen mit
einem Redakteur habe, war diesmal nur eine Woche Aufenthalt im Wald möglich.
Am Parkplatz angekommen, sehe ich, dass noch
einige Autos dort herumstehen. An manchen sind Touristen gerade dabei, ihre
Ausrüstung zu verstauen, Kinder einzufangen und abzufahren.
Ich stehe noch an der geöffneten Heckklappe
meines Geländewagens und räume gewohnheitsmäßig die Kameratasche aus dem
Rucksack in eine Metallkiste im Kofferraum um.
Das mache ich immer so. Die Kiste ist fest
verzurrt und ziemlich bruchsicher. Sollte ich also jemals einen Autounfall
haben, werden die Fotos, die ich zuletzt gemacht habe, in jedem Fall überleben.
Zu meiner großen Freude steht noch ein
Verkaufswagen auf dem Platz – ich brauche dringend einen Kaffee!
Heckklappe zu, losschlendern.
Minuten später kehre ich, an einem To-go-Becher
schlürfend, zurück zu meinem Wagen und sehe neugierig auf, als ich einen lauten
Fluch höre.
Owen ~ Wutwanderung
Ungeduldig zerre ich um fünf Uhr morgens
meinen für solche Fälle immer fertig gepackten Wanderrucksack aus dem
Abstellraum neben meinem Schlafzimmer und stürme die Treppe hinunter.
Im Büro schreibe ich eine Nachricht für
Michelle, meine Haushälterin, damit sie sich keine Sorgen macht. Sie ist zwar
nur zwölf Jahre älter als ich, aber in Ermangelung einer eigenen Familie behütet
sie mich, als wäre ich ihr Sohn.
Dieser Gedanke entlockt mir ein kurzes
Lächeln, ehe meine grottenschlechte Laune es wieder vertreibt.
Mit dem Geländewagen fahre ich zur Auffahrt
der Route 99, dann weiter bis zum Garibaldi Lake.
Nach einer guten Stunde Fahrt stelle ich den
Wagen auf einem der großen Parkplätze ab. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass
außer meinem noch ein Fahrzeug auf dem Schotterplatz steht. In der Regel bin
ich um diese Uhrzeit der einzige Wahnsinnige, der sich hier rumtreibt. Die
Sonntagsausflügler erscheinen frühestens um zehn Uhr.
Egal! Rucksack schultern und dann marschieren.
Meine miese Stimmung werde ich nur durch eine lange, kräftezehrende Wanderung
los.
Inzwischen ist die Sonne aufgegangen und
verleiht dem See einen rotgoldenen Schimmer. Der Anblick ist wunderschön und
sollte einem das Herz weiten. Funktioniert bei mir heute nicht.
Abrupt wende ich mich um und folge einem
schmalen Pfad. Ich kenne die Gegend hier ziemlich gut. Der Weg wird mich in den
dichten Wald und zu ein paar steilen Anstiegen bringen. Sie sind genau das, was
ich suche.
Seit ich gestern Abend aus Calgary
zurückgekommen bin, habe ich noch kein Auge zugemacht. Mein schlechtes Gewissen
lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Die fünfzehnjährige Tochter eines mittellosen
Ehepaares wurde seit zwei Wochen vermisst. Für die Polizei war das Mädchen eine
typische Ausreißerin, daher unternahm man keine großen Anstrengungen, sie zu
suchen.
Durch eine winzige Meldung in der Tageszeitung
wurde ich auf den Fall aufmerksam und bot den Eltern sofort meine Hilfe an.
Es dauerte eine weitere Woche, ehe ich
brauchbare Hinweise fand. Sie führten mich nach Calgary, auf die Spur eines
polizeibekannten Sexualstraftäters.
Obwohl der Mistkerl verhaftet werden konnte,
kam für das Mädchen, Melanie, jede Hilfe zu spät.
Der Gedanke an den Anblick ihrer Leiche lässt
bittere Galle in mir hochkochen.
Ich hasse es, wenn Leute, die wenig Geld
haben, anders behandelt werden als besser situierte. Die Polizei unternimmt
kaum etwas, weil nach ihren Erfahrungswerten Kinder aus ärmeren Verhältnissen
grundsätzlich erst mal als Ausreißer eingestuft werden. Den Medien ist so was meist
noch nicht mal eine Nachricht wert. Erst wenn solch ein Fall böse endet, wird er
auf den Titelseiten ausgeschlachtet.
Ziemlich außer Atem erreiche ich die erste
Anhöhe und muss kurz pausieren. Meine Wut hat mich den Anstieg viel zu schnell
nehmen lassen.
Der Stamm eines dicken Baumes, der scheinbar
dem letzten Herbststurm nicht standgehalten hat, dient mir als Sitzgelegenheit.
Aus dem Rucksack hole ich eine Flasche stilles Wasser und trinke in kleinen
Schlucken.
Ich mag gar nicht daran denken, dass ich heute
Abend Melanies Eltern aufsuchen muss.
Jemand von der örtlichen Polizei war gestern
bereits bei ihnen. Sie mussten anhand eines Fotos die Identität ihrer Tochter
bestätigen und wurden über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt.
Es wäre also nicht zwingend notwendig, dass
ich noch einmal mit ihnen spreche. Schließlich habe ich mir den Fall selbst
ausgesucht und ihn unentgeltlich übernommen. Aber es ist nicht meine Art, mich
vor unangenehmen Dingen zu drücken.
Was mir am meisten zu schaffen macht, ist,
dass ich die Informationen viel zu spät bekommen habe. Hätte mich mein Freund
Scott, seines Zeichens Ermittler im Morddezernat, sofort angerufen, als das
Mädchen als vermisst gemeldet wurde, hätte ich sie vielleicht noch retten
können.
Den Burschen werde ich mir morgen zur Brust
nehmen. Wie oft habe ich ihm schon eingetrichtert, er soll mich umgehend
informieren, sobald ihm solch ein Fall zu Ohren kommt? Bin gespannt, welche
Ausrede er diesmal parat hat.
Ich verstaue meine Wasserflasche, nehme dafür
meine Kamera heraus und hänge sie mir um den Hals, ehe ich mich weiter auf den
Weg mache.
~*~
Am Spätnachmittag treffe ich wieder an meinem
Ausgangspunkt ein. Die lange Wanderung, die Stille des Waldes und etliche Fotos
von buntschillernden Insekten haben meine Nerven zur Ruhe kommen lassen und ich
bin wieder mit mir im Reinen.
Auf dem Parkplatz stehen nur noch wenige
Fahrzeuge. Mehrere Familien mit Kindern versuchen, ihr Picknickzubehör zu
verstauen, ohne ihren Nachwuchs aus den Augen zu verlieren.
An dem Wagen neben meinem lehnt ein Mann und nippt
vorsichtig an einem Coffee-to-go-Becher.
Ich stelle meinen Rucksack in den Kofferraum
und ziehe die Klappe herunter, um sie zu schließen. Zu spät bemerke ich, dass
sich der Trageriemen meiner Kamera an der Ecke verhakt hat. Selbstverständlich
reißt er und das Gerät fällt zu Boden.
„Scheiße!“, fluche ich lauthals und bücke
mich, um es aufzuheben.
„Heute ist echt nicht mein Tag“, schimpfe ich vor
mich hin. Das Ding ist mit der Seite auf einem spitzen Stein gelandet.
„Wegen eines kleinen Unfalls wollen Sie gleich
einen ganzen Tag wegwerfen?“
Ruckartig hebe ich den Kopf. Die leicht
amüsiert klingende Bemerkung kommt von dem Kaffeetrinker.
Ich unterziehe ihn einer genauen Musterung.
Hellbraune Haare lugen ziemlich strubbelig unter seinem Basecap hervor. Seine
ungewöhnlich dunkelgrauen Augen blitzen fröhlich.
Na, der macht mir Spaß.
„Ich würde gerne mehr als nur diesen Tag
wegwerfen. Die kaputte Kamera ist nur das Tüpfelchen auf dem i“, meckere ich
weiter.
Er schürzt die Lippen und drückt mir seinen
Kaffeebecher in die Hand, während er mir zeitgleich die Kamera abnimmt, um sie
zu untersuchen.
Ziemlich perplex starre ich den Typen an und
suche nach Worten, die ihn in seine Schranken weisen.
„Hm, nur der Deckel des Batteriefachs ist
herausgebrochen, das kann man ganz einfach reparieren und Ihren Fotos dürfte
nichts passiert sein“, behauptet er und lächelt mich aufmunternd an.
„Und das wissen Sie woher?“, frage ich
skeptisch.
Sein Grinsen wird geradezu frech, als er sagt:
„Ich bin Brooks Ewing, mir gehört das Fotostudio im Westview Shopping Centre. Meine Angestellten reparieren quasi
täglich solche Schäden.“
„Brooks Ewing? Der Brooks Ewing? Der
Tierfotograf?“ Wer in Kanada kennt diesen Namen nicht?
„Höchstpersönlich!“ Mein Gegenüber nickt und
lacht mich keck an. „Mein Ruf scheint mir vorauszueilen. Sie haben vergessen,
die aufregenden Dokumentationen zu erwähnen.“
„Stimmt“, gebe ich zu. „Da lerne ich durch
mein Missgeschick tatsächlich eine echte Berühmtheit kennen. Ich bin übrigens
Owen Brady.“
Die Augenbrauen dieser unerträglichen
Frohnatur rutschen in seine Stirn. „Der Philanthrop mit der genialen Spürnase?“
Diese Bezeichnung lässt mich hart auflachen.
„Ich glaube, niemand der mich näher kennt,
würde mich so bezeichnen.“
„Wie? Spürnase?“, gibt er wölfisch grinsend
zurück und ich fühle mich leicht verarscht.
„Der Philanthrop zeigt Ihnen gleich, wie gut
er extrem fröhliche Menschen leiden kann“, knurre ich aufgebracht.
„Ich verrate Ihnen was: Vor ein paar Stunden
hat ein etwa achtzig Kilo schwerer Mackenzie-Alpha an diesen Hosenbeinen
geschnüffelt und überlegt, ob er mich fressen soll. Solange Sie das nicht überbieten
können, machen Sie mir ganz sicher keine Angst mit Ihrer Griesgrämigkeit.“
Ach du Scheiße!
Ich kenne so ziemlich alle Fotos, die Ewing
jemals irgendwo veröffentlicht hat und weiß, dass er immer extrem ungewöhnliche
Aufnahmen schießt. Aber dass ein Wolf ihm so nahe gekommen sein soll, ohne ihn
anzugreifen, halte ich für unwahrscheinlich.
„Und diese Story soll ich Ihnen glauben? Haben
Sie Beweise?“, frage ich ironisch.
Er kichert. „Sie denken, ich hätte neben dem
unterwürfigen auf dem Boden Herumliegen noch Zeit gehabt, meine Kamera zu
zücken?“ Er mustert mich herausfordernd.
„Mister Ewing, ich kenne Ihre gesamte Arbeit.
Wenn der Vorfall der Wahrheit entspricht, haben Sie sich solche Aufnahmen nicht
entgehen lassen, egal wie gefährlich die Situation war.“
Er muss doch nicht meinen, dass er einen
erfahrenen Profiler hinters Licht führen kann …
„Da ist sie ja, die Spürnase!“, feixt er und
hebt die Kamerateile etwas an. „Ich kann sie mitnehmen und Sie holen sie sich
morgen repariert im Laden ab, dann zeige ich Ihnen, wie waghalsig ich heute
war.“
„Okay, ich nehme Sie beim Wort. Aber ich warne
Sie. Wenn ich aufkreuze und Sie glänzen durch Abwesenheit, dann lernen Sie den
richtigen Griesgram kennen.“ Ich lasse meinen Worten ein süffisantes Lächeln
folgen, damit er weiß, dass ich es ernst meine.
„Sie haben eine merkwürdige Art, sich für die
Reparatur Ihrer Kamera zu bedanken“, quittiert er ungerührt. „Sie können den
Kaffee behalten!“
Der Kerl dreht sich einfach um und lässt mich
blöde stehen. Während er ins Auto steigt, brülle ich ihm hinterher: „Ich bezahle
die Reparatur, keine Sorge!“
Laut lachend fährt er an mir vorbei und
besitzt die Unverschämtheit, mir die ganze Zeit zuzuwinken.
Kopfschüttelnd steige ich ins Auto und fahre
nach Hause. Allerdings habe ich vorsorglich die Nummer seines Fahrzeugs in mein
Handy getippt.
So fröhliche Menschen wie Brooks Ewing sind
mir ein Gräuel. Sie nehmen nichts und niemanden ernst und merken dabei auch
nicht, wie sehr sie anderen damit auf die Nerven gehen.
Ich verdränge die Gedanken an ihn und beschließe,
Scott heute schon anzurufen. Mir doch egal, dass Sonntag ist und er dienstfrei
hat. So kann ich mir während der langweiligen einstündigen Rückfahrt die Zeit
damit vertreiben, ihn zusammenzuscheißen.
Scott und ich kennen uns seit
Kindergartenzeiten. Er hat sich im Laufe der Jahre an meine grobe Art gewöhnt
und steckt sie immer locker weg. Je unfreundlicher ich werde, desto mehr lacht
er mich aus. Im Grunde ist er vom Typ her ähnlich wie Brooks Ewing.
Wieso kommt mir dieser Kerl wieder in den
Kopf? Ich habe doch beschlossen, nicht weiter an ihn zu denken, weil mir seine
Art auf die Nerven geht.
Wie erwartet, redet Scott sich damit heraus,
dass er von der vermissten Melanie erst gehört hat, als ich mich schon um den
Fall gekümmert habe. Wir verabreden uns für nächste Woche zum Abendessen bei
mir, dann lege ich auf, da ich die Einfahrt zu meinem Haus erreicht habe.
Michelle erwartet mich bereits in der
geöffneten Haustür. Sie hat meinen Wagen sicher vom Küchenfenster aus gesehen.
„Guten Abend Michelle. Ich muss gleich noch
mal weg.“
„Guten Abend Owen. Aber vorher wirst du etwas
essen. Du hast heute Morgen noch nicht mal gefrühstückt und wie ich dich kenne,
hast du dir unterwegs auch nichts Essbares besorgt.“ Ihr strafender Blick würde
selbst hartgesottenere Kerle als mich einschüchtern.
„Lass mich nur schnell duschen und mich
umziehen, dann komme ich zu dir in die Küche. Ich habe keine Zeit, mich
großartig im Esszimmer niederzulassen.“
Ich eile an ihr vorbei und ignoriere das
unzufriedene Gebrummel.
Knapp eine halbe Stunde später sitze ich
wieder im Wagen und mache mich auf den Weg zu den bedauernswerten Eltern des
toten Mädchens.