Jasmin sah sich kurz um. Sie würde
täglich vier Stunden lang dämlich auf dieser kalten, ungemütlichen und – das
ahnte sie jetzt schon – nach ganzen zwanzig Minuten vollkommen verhassten Bank
herumsitzen. Greven hatte ihr mit säuerlicher Miene den Platz zugewiesen und
nun hockte sie hier und stierte Löcher in die Morgenluft.
Sie riskierte es besser nicht, zu
interessiert an ihrer Umwelt zu wirken. Schließlich war das Baseballteam
ebenfalls auf dem Platz und sie hatte beim besten Willen keine Lust, sich noch
einen Monat zusätzliches Trainingsverbot einzuhandeln.
Sie schaffte es, volle drei Stunden
lang lethargisch auf der Bank zu sitzen, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl
ihre Füße vor Anspannung und Tatendrang kribbelten.
Doch nach besagten drei Stunden aufs
feuchte Gras starren sah sie unerwartet plötzlich zwei Turnschuhe vor sich. Sie
blinzelte ein paarmal, schluckte und ließ den Blick langsam aufwärts wandern,
während der Besitzer der Schuhe sie ansprach.
„Hey, du bist die neue Superläuferin,
oder? Wie heißt du?“
Jasmin verzog grimmig den Mund, blickte
schließlich mit überstrecktem Hals in das Gesicht des Sprechers.
„Siehst du mich laufen?“, brummte sie.
„Ich bin David, Dave … Ich hab mitbekommen,
dass du gestern Trainingsverbot kassiert hast“, fuhr er unbeirrbar fort und zog
sich nun wirklich ihren Ärger zu.
„Soll ich schnell zur Kantine gehen und
dir ein paar Salzstreuer holen? Vielleicht willst du ja noch mehr davon in
meine Wunden streuen?“, fauchte sie und wandte sich genervt ab.
„Sorry, mir war nach deinem gestrigen
Auftritt Gregor gegenüber nicht ganz klar, was für eine Mimose du bist. Krieg
dich wieder ein!“, meckerte er zurück und wandte sich trotzdem nicht zum Gehen.
„Ich bin Minirambo, schon
vergessen? Vielleicht solltest du lieber wieder rübergehen bevor Jonas oder
Greven dich anzählen? Ich glaube nämlich nicht, dass ich Bock drauf habe, mir
diese schnuckelige kleine Bank den nächsten Monat mit dir zu teilen!“
Das war deutlich. Dachte sie.
„Mensch, nun sei doch nicht so zickig!
Ich war eigentlich hierhergekommen, um dich zu fragen, ob du nach der Schule
schon was vorhast. Ich wollte dich auf ein Eis einladen.“
„Rennen hier eigentlich nur Bekloppte
rum? Gestern der Pitcher, heute du.“
„Oh, danke, mit Gregor werde ich
wirklich gern auf eine Stufe gestellt“, sagte er und verzog das Gesicht. „Nun
komm schon, wie heißt du?“
„Mein Name ist Jazz. Für Doofe: wie die Musik.
Kannst du jetzt vielleicht mal abschieben und mich in Ruhe lassen?“
„Sobald du mir gesagt hast, wann ich
dich wo abholen kann.“
Mann, der ist ja echt nicht von diesem Stern, dachte sie und stöhnte auf.
„Ich habe schon was vor. Was im Übrigen
auch für die nächsten zwanzig Jahre gilt. So Pi mal Daumen.“
Er grinste. „Und was hast du vor?“
„Laufen! Hier komme ich leider nicht
mehr dazu. Weil an dieser Schule geistig offensichtlich Minderbemittelte
ungestraft mit Fastballs um sich pfeffern dürfen.“
„Du kannst ihn echt nicht leiden, was?
Und ich dachte schon, du hättest ihm eine reingehauen, weil er mich abgeworfen
hat.“
„Klar, bild dir mal keine Schwachheiten
ein.“
„Tu ich nicht. Ich fand’s ziemlich nett
von dir.“
„Sag mal, willst du es nicht schnallen?
Ich hab keinen Bock. Nicht auf diesen Spinner, nicht auf dich. Kann ich jetzt weiter
Grashalme zählen, oder musst du mich noch länger nerven?“
Offensichtlich fand er ihre
Kratzbürstigkeit nicht halb so schlimm, wie sie gehofft und einkalkuliert
hatte.
„Also, was ist? Kann ich nachher mit
dir laufen und wir essen danach ein Eis?“, fragte er. Sein breites Grinsen
grenzte schon an absolute Ignoranz, fand Jasmin.
Deshalb starrte sie ihn mit offenem
Mund an und fragte sich, was sie verbrochen hatte, um so bestraft zu werden.
„Du kannst so viel und so weit laufen,
wie du willst. Am besten jetzt gleich und in Richtung Outfield. Vielleicht
bewahrt mich das vor deinem Gelaber? Oder muss ich dir erst kräftig vors
Schienbein treten, damit ich wieder nen Platzverweis und einen weiteren Monat
Trainingssperre kriege? Vielleicht flieg ich auch lieber gleich aus dem Team
oder von der Schule! Ich hab ja nicht lange genug dafür gekämpft, mitten im
Schuljahr hier aufgenommen zu werden, das kann ich mir von ein paar
Testosteronschleudern doch ganz leicht wieder kaputtmachen lassen, oder?“
Schnell setzte Jasmin sich auf ihre Hände. Dieser Wutanfall war echt krass, sie
hatte Angst, ihm auch noch eine zu kleben. Dabei war sie doch eigentlich gar
kein gewalttätiger Mensch!
„Okay, okay, du hast gewonnen. Dann
eben kein Eis …“
„Und auch kein Laufen!“, unterbrach sie
ihn rüde. „Du würdest eh nach der ersten Runde durch den Stadtwald
schlappmachen.“ Sie stockte. Nun hatte sie sich in ihrer Wut verplappert.
Erstaunlicherweise ließ er sich nicht
anmerken, dass er ihren Ausrutscher mitbekommen hatte. Er lächelte kurz und sah
über das Feld zu seinem Team. Entrüstet teilte er ihr dann mit, was er von
ihrer Einschätzung seiner Ausdauer hielt: „Hey, von wegen! Ich laufe jedes
Wochenende mit Freunden!“
„Das freut mich! Sogar unglaublich
doll. Es bedeutet nämlich, dass du mit denen laufen kannst und ich endlich
meine Ruhe habe.“
„Weißt du was? Vergiss es einfach!“ Er
schien endlich aufgegeben zu haben, doch Jasmin erlaubte sich noch kein
erleichtertes Aufatmen.
„Würd ich ja, wenn du mich endlich in
Ruhe lassen könntest!“, gab sie zurück und wandte sich demonstrativ von ihm ab.
Er hatte sich schon umgewandt, bereit,
ihrem mehr als nur ausdrücklichen Wunsch zu entsprechen, als er noch einmal
kehrt machte.
„Hey, bevor ich’s vergesse: danke für
deine Hilfe gestern. Auch wenn mir bisher nicht klar war, dass ich aussehe, als
könnte ich mich nicht selbst wehren.“
Sie sah überrascht auf, ihre Augen
trafen seine. Grün-grau. Irgendwie beruhigte dieser Blick sie. Ihre Wut verging
so schnell, wie sie gekommen war. Sie öffnete den Mund zu einer Antwort und schluckte, bevor sie sprach.
„Die anderen haben dich festgehalten.“
„Und das ist die Erklärung dafür, dass
du einen Typen angreifst, der fast zwei Köpfe größer ist als du?“, fragte er
und setzte sich neben sie. Sie rückte von ihm fort, soweit es ging, ohne von
der Bank zu fallen.
„Na ja, damit hat er wenigstens nicht
gerechnet. Ich wollte ihn eigentlich nur fragen, ob er noch alle Tassen im
Schrank hat, aber der hat mich allen Ernstes gefragt, ob ich ein Date will! Und
weil ich seit einer Woche in der Kantine ertragen muss, wie er herumstolziert,
dieser eitle Gockel, fand ich die Situation ziemlich passend. Der denkt doch
wirklich, dass alle auf ihn abfahren!“, brachte sie verächtlich hervor und mied
seinen Blick. Deshalb war die erste Reaktion, die sie von ihm bemerkte, sein
leises Kichern.
„Ja genau! Lach mich aus!“, forderte
sie ihn mit düsterem Ton auf und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
„Ich lache dich nicht aus, ich staune
nur. Gibt hier nicht viele Mädchen, die so ein klares Bild von Gregor haben.“
Es kam, wie es kommen musste: Ein
schriller Pfiff erklang so laut hinter Jasmin, dass sie erschrocken aufsprang.
Greven stand hinter ihr. Sie suchte
schon nach Worten für eine plausible Erklärung, dann erkannte sie, dass ihr
Trainer sie gar nicht beachtete. Sein verärgerter Blick war einzig und allein
auf den neben ihr stehenden David gerichtet. Nun sah sie auch, dass er genauso
groß war wie Gregor.
„Kannst du mir mal verraten, wieso du
eines meiner Teammitglieder vom Absitzen seiner Strafe abhältst?“, fauchte
Greven und David tauschte einen kurzen Blick mit Jasmin.
„Entschuldigen Sie, Herr Greven, Jasmin
kann nichts dafür, ich habe mich lediglich davon überzeugen wollen, dass es ihr
gut geht. Es ist ziemlich kalt heute, wenn man nur herumsitzt.“ Wie zur
Bestätigung ergriff er eine von Jasmins eiskalten Händen und hob sie – mit
einem kleinen, Jasmin unerklärlichen Zögern – vor Grevens Gesicht. „Da, fühlen Sie
mal. Ihre Superläuferin wird in einer Woche mit ner fetten Grippe im Bett
liegen, wenn Sie nicht aufpassen.“
Jasmin spielte das Spiel mit und
staunte, als Greven voll drauf hereinfiel.
„Danke, David. Daran habe ich in meinem
Ärger nicht gedacht. Trotzdem solltest du zu deinem Team zurückgehen.“
Wortlos nickte David und joggte zu
seinem Team.
Greven musterte Jasmin ernst. „Das tut
mir leid. Ich wollte, dass du drüber nachdenkst, was du falsch gemacht hast,
aber erfrieren sollst du natürlich nicht. Hol deine Jacke. Und wann immer dir
kalt wird, darfst du ein wenig auf und ab wandern, aber du entfernst dich nicht
von deiner Freundin, der Bank.“