Leseprobe
~ Drahtesel-Streitross ~
David sah noch einmal in sein Glas und leerte es, bevor er
es auf der Theke abstellte und sich zum Gehen wandte. Bezahlt waren seine Biere
bereits, jetzt musste er nur noch nach Hause kommen. Vorzugsweise allein, denn
in seinem Liebeskummer konnte er vieles gebrauchen, aber ganz sicher nicht den
nächsten Kerl, der ihm über kurz oder lang das Leben – und die Liebe! – zur
Hölle machte! Dabei waren schon fast zwei Monate vergangen, seitdem sich Adrian
aus den Trümmern ihrer Beziehung verzogen hatte.
Adrian …
David schwankte leicht, als er die Tür erreichte. Nur noch
aufschieben und hindurchfallen, das Ganze wiederholen und er würde im Freien
stehen – oder wahlweise liegen. Egal.
Frische Luft. Böäh!
David liebte eingeräucherte Räume, stickige Luft und Hitze.
Vielleicht lag das an seinem Beruf als Schmied? Egal, jedenfalls war er nicht
sonderlich erpicht auf die sanfte Brise, die ihn vor der Tür der Kneipe
einfing.
Eine ganz normale Kneipe übrigens, schön hetero, damit ihm
auch ja kein potentieller Herz-Zertrampler über den Weg laufen konnte! Alles
geplant und voll berechnet.
Stolpernd suchte David nach seinem Fahrrad. Er hatte es doch
hier irgendwo angebunden? Er kicherte blöde los. Angebunden! Ein Drahtesel war
doch kein Pferd!
Noch immer glucksend schaffte er es, sein Rad zu finden und
sogar das Kettenschloss, mit dem es am Fahrradständer angeschlossen war, zu
öffnen.
„Hey ho, Silver!“, lallte er lautstark durch die Nacht,
schwang sich auf den Sattel und schwenkte einen imaginären Hut. „Take me
hoooooome countryroooooaaaaaad!“
„Wie willst du denn heil zu Hause ankommen, hm?“ Die Stimme
klang seltsam fern, vielleicht hatte David sie sich auch nur eingebildet, eine
Antwort hielt er jedenfalls für unnötig. Stattdessen versuchte er, seinen noch
auf dem Boden befindlichen, linken Fuß auf die Pedale zu stellen, und
anzufahren.
Gut, der Fuß stand, er brachte es sogar fertig, zu treten,
aber weder Rad noch Pedal bewegten sich. Dafür vermisste David aber auch das
mittlerweile vertraute Schwanken, das die ersten betrunkenen Meter auf seinem
treuen Drahtesel begleitete.
David hielt sich am Lenker fest und beugte sich vor, um den
Kopf nach unten richten zu können. Hatte ihm jemand einen Stein vor den Reifen
geschoben?
„Wenn du nicht aufhörst, so zu zappeln, werde ich loslassen
und du landest auf deinem hübschen, kleinen Hintern.“
Pah! „Halt die Klappe, Silver! Auch Ffffferde aus
Al-luminium dürfen nich red’n!“, maulte David das Rad an, und stellte einen Fuß
zurück auf den Boden. Er tätschelte den Lenker und beschloss, dass er wohl doch
lieber zu Fuß gehen sollte.
Gedacht, getan, schwang er mit wenig graziösen Bewegungen
sein rechtes Bein nach hinten über den Sattel.
Ein dumpfer Fluch erklang, dann lag David halb unter seinem
Rad begraben und blinzelte in die Nacht.
Neben ihm hockte jemand am Boden. Oh, dann hatte der Typ da
mit ihm geredet? Na ja, was sollte es?
David kam wieder auf die Füße und schob seinen treuen Silver
neben sich her, ohne sich um den anderen zu kümmern.
„Hallo?! Bleibst du vielleicht mal stehen?!“, rief eine
Stimme und David hielt wirklich an. Weit war er sowieso noch nicht gekommen. Er
sah über die Schulter und versuchte, sein Schwanken auszugleichen, indem er
sich am Lenker festhielt.
„Was willsu denn?“, fragte er und beobachtete, wie ein
hochgewachsener, ziemlich breitschultriger Mann sich vom Boden aufrappelte.
„Bissu hingefalln?“
David besann sich seiner guten Erziehung, ließ Silver los,
der protestierend scheppernd auf dem Pflaster landete, und stolperte zu dem
Fremden, um ihm aufzuhelfen. Dass das gar nicht nötig war, und er den Mann
beinahe noch einmal umgeworfen hätte, merkte er erst durch dessen Gemecker.
„Mann, ich kann das alleine! Im Gegensatz zu dir habe ich
nicht dreieinhalb Promille im Blut!“
David wich mit erhobenen Händen zurück. „Schulligung! Bissu
okay?“
„Auch wenn man das von dir nicht behaupten kann, ich bin es,
ja.“ Der Fremde blieb nun direkt vor David stehen. Der rieb sich erst mal
kräftig über die Augen und blinzelte.
„Tut mir echt leid … Is nich mein bester Ab-end, wenn du
ver-steh-st“, er bemühte sich darum, klarer zu sprechen, zog deshalb jede Silbe
ein wenig in die Länge und hob nicht annähernd rechtzeitig die Hand vor den
Mund, als das ‚st‘ am Ende seiner Rede viel zu feucht von seinen Lippen kam.
„Ent-schul-di-gung.“
Sein Gegenüber musterte ihn ebenso, wie er es.
Der Fremde war so groß wie er selbst, also irgendwas
zwischen einsfünfundachtzig und einsneunzig. Er war sogar ähnlich athletisch
gebaut wie David. Breite Schultern, lange Beine – unwillkürlich fragte er sich,
wie das Muskelspiel unter seiner Haut wohl aussehen mochte.
Er schüttelte hastig den Kopf und kam natürlich sofort
wieder aus dem Gleichgewicht.
Blitzschnell schlossen sich fremde Hände um seine Oberarme
und verhinderten seine erneute Bekanntschaft mit den Waschbetonplatten des
Bürgersteigs.
„Danke.“
„Wo wohnst du?“
„He, ich geh allein nach Hause! Bin nich so einer!“,
entrüstete er sich und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. „Lass los!“
Der Fremde schnaubte. „Damit du gleich wieder umkippst? Na
los, wo wohnst du?“
„Wies’ngrund, kennste die alte Schmmmiede da?“ David gab es
auf. Das Zappeln nutzte offensichtlich nichts, dann konnte er auch anders
sehen, wie er den Typen möglichst schnell wieder loswurde. „Ich bin David, und
du quetschst mir grad den Arm ab.“
Sofort lockerte sich der Griff, aber die ernste Miene seines
Gegenübers blieb. Überhaupt ein echt ansehnliches Gesicht. Hohe Wangenknochen,
anständig ausgeprägtes Kinn mit sexy Bartschatten, eine ganz leicht
geschwungene Oberlippe und ebenso geschwungene Augenbrauen, die beinahe zu
schmal wirkten für ein männliches Gesicht. Dunkles Haar, helle Augen. Die Farbe
konnte David trotz Straßenlaterne und Blinzelei nicht erkennen.
„Ja, ich kenne die alte Schmiede. Komm.“ Der Fremde ließ
einen Arm los und zog ihn am anderen wieder zurück zu einem Blumenkübel neben
dem Fahrradständer. Dort schob er ihn auf seinen Hintern und David beobachtete
ihn, wie er Silver aufhob und wieder anschloss.
„Danke.“
„Schon in Ordnung. Und jetzt komm.“ Der Typ klang echt
extrem genervt. Wieso ließ er David nicht einfach in Ruhe? Diesmal ergriff er
Davids Handgelenk und zog ihn hinter sich her zu einem Parkplatz.
Er stockte. Zu einem Fremden ins Auto steigen? David war 23,
so einen Unsinn hatte er schon mit fünf nicht mehr getan! „Ey, ich schteig da
nich ein!“
Ein lautes, kellertiefes Seufzen erklang neben ihm, als der
Kerl ihn gegen den Wagen lehnte. Irgendwas Schwarzes, ein Audi oder so. Sah
breit und edel aus. Schickimickikarre.
„Du wirst!“, war die Antwort und David schluckte hart.
„Ich bin vielleicht blau, aber ganz sicher nich blöd! Du
kanns dir deine Nobelkarre sonst wo hinschieben. Ich laufe heim!“ Er stieß sich
von der Karosse ab und schwankte von dannen.
Immerhin, irgendwas zwischen zehn und fünfzehn – so sicher
war sich David nicht – Schritten schaffte er, bevor der Fremde wieder vor ihm
stand.
„Mann, reiß dich gefälligst mal zusammen! Ich bin Steve, ich
fahre dich jetzt nach Hause, du schläfst deinen Rausch aus und vergisst, dass
wir uns je begegnet sind, klar soweit?“
„Aye, aye!“ David kicherte. „Das sagt Captain Jack Sparrow
auch immer!“
„Ja, du magst Fluch der Karibik, ich hab’s kapiert“, stöhnte
Steve. „Könntest du mir dann jetzt Zeit und Nerven ersparen und einsteigen?!“
Oh, ungeduldig isser auch noch!
„Wieso lässt du mich nich einfach in Ruhe?! Ich brauch keine
Hilfe. Schon gar nich von so einem …“ David deutete fahrig auf Steve und dessen
Gestalt. „… geschniegelten Bügelfaltentypen! Musst du nich in irgendne Bank
oder so? Geh den Geldautomaten füllen, ich kenn den Weg nach Hause!“
Er riss sich los, hielt sich an einem anderen parkenden
Wagen fest und stolperte weiter.
„Gute Nacht!“, fauchte David noch in eine unbestimmte
Richtung und sah die Faust viel zu spät. Nein, falsch, eigentlich sah er sie
Ewigkeiten lang auf seine Nase zukommen, aber er brauchte mindestens doppelt so
lange, um zu reagieren.
Mit einem hilflosen „Au!“ hielt er sich das Gesicht und die
blutende Nase, dann sackten seine Beine weg.
© Nathan Jaeger
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