Samstag, 6. November 2021

[Leseprobe] Heißes Eisen - Warmes Holz

 Leseprobe

~ Drahtesel-Streitross ~

David sah noch einmal in sein Glas und leerte es, bevor er es auf der Theke abstellte und sich zum Gehen wandte. Bezahlt waren seine Biere bereits, jetzt musste er nur noch nach Hause kommen. Vorzugsweise allein, denn in seinem Liebeskummer konnte er vieles gebrauchen, aber ganz sicher nicht den nächsten Kerl, der ihm über kurz oder lang das Leben – und die Liebe! – zur Hölle machte! Dabei waren schon fast zwei Monate vergangen, seitdem sich Adrian aus den Trümmern ihrer Beziehung verzogen hatte.

Adrian …

David schwankte leicht, als er die Tür erreichte. Nur noch aufschieben und hindurchfallen, das Ganze wiederholen und er würde im Freien stehen – oder wahlweise liegen. Egal.

Frische Luft. Böäh!

David liebte eingeräucherte Räume, stickige Luft und Hitze. Vielleicht lag das an seinem Beruf als Schmied? Egal, jedenfalls war er nicht sonderlich erpicht auf die sanfte Brise, die ihn vor der Tür der Kneipe einfing.

Eine ganz normale Kneipe übrigens, schön hetero, damit ihm auch ja kein potentieller Herz-Zertrampler über den Weg laufen konnte! Alles geplant und voll berechnet.

Stolpernd suchte David nach seinem Fahrrad. Er hatte es doch hier irgendwo angebunden? Er kicherte blöde los. Angebunden! Ein Drahtesel war doch kein Pferd!

Noch immer glucksend schaffte er es, sein Rad zu finden und sogar das Kettenschloss, mit dem es am Fahrradständer angeschlossen war, zu öffnen.

„Hey ho, Silver!“, lallte er lautstark durch die Nacht, schwang sich auf den Sattel und schwenkte einen imaginären Hut. „Take me hoooooome countryroooooaaaaaad!“

„Wie willst du denn heil zu Hause ankommen, hm?“ Die Stimme klang seltsam fern, vielleicht hatte David sie sich auch nur eingebildet, eine Antwort hielt er jedenfalls für unnötig. Stattdessen versuchte er, seinen noch auf dem Boden befindlichen, linken Fuß auf die Pedale zu stellen, und anzufahren.

Gut, der Fuß stand, er brachte es sogar fertig, zu treten, aber weder Rad noch Pedal bewegten sich. Dafür vermisste David aber auch das mittlerweile vertraute Schwanken, das die ersten betrunkenen Meter auf seinem treuen Drahtesel begleitete.

David hielt sich am Lenker fest und beugte sich vor, um den Kopf nach unten richten zu können. Hatte ihm jemand einen Stein vor den Reifen geschoben?

„Wenn du nicht aufhörst, so zu zappeln, werde ich loslassen und du landest auf deinem hübschen, kleinen Hintern.“

Pah! „Halt die Klappe, Silver! Auch Ffffferde aus Al-luminium dürfen nich red’n!“, maulte David das Rad an, und stellte einen Fuß zurück auf den Boden. Er tätschelte den Lenker und beschloss, dass er wohl doch lieber zu Fuß gehen sollte.

Gedacht, getan, schwang er mit wenig graziösen Bewegungen sein rechtes Bein nach hinten über den Sattel.

Ein dumpfer Fluch erklang, dann lag David halb unter seinem Rad begraben und blinzelte in die Nacht.

Neben ihm hockte jemand am Boden. Oh, dann hatte der Typ da mit ihm geredet? Na ja, was sollte es?

David kam wieder auf die Füße und schob seinen treuen Silver neben sich her, ohne sich um den anderen zu kümmern.

„Hallo?! Bleibst du vielleicht mal stehen?!“, rief eine Stimme und David hielt wirklich an. Weit war er sowieso noch nicht gekommen. Er sah über die Schulter und versuchte, sein Schwanken auszugleichen, indem er sich am Lenker festhielt.

„Was willsu denn?“, fragte er und beobachtete, wie ein hochgewachsener, ziemlich breitschultriger Mann sich vom Boden aufrappelte. „Bissu hingefalln?“

David besann sich seiner guten Erziehung, ließ Silver los, der protestierend scheppernd auf dem Pflaster landete, und stolperte zu dem Fremden, um ihm aufzuhelfen. Dass das gar nicht nötig war, und er den Mann beinahe noch einmal umgeworfen hätte, merkte er erst durch dessen Gemecker.

„Mann, ich kann das alleine! Im Gegensatz zu dir habe ich nicht dreieinhalb Promille im Blut!“

David wich mit erhobenen Händen zurück. „Schulligung! Bissu okay?“

„Auch wenn man das von dir nicht behaupten kann, ich bin es, ja.“ Der Fremde blieb nun direkt vor David stehen. Der rieb sich erst mal kräftig über die Augen und blinzelte.

„Tut mir echt leid … Is nich mein bester Ab-end, wenn du ver-steh-st“, er bemühte sich darum, klarer zu sprechen, zog deshalb jede Silbe ein wenig in die Länge und hob nicht annähernd rechtzeitig die Hand vor den Mund, als das ‚st‘ am Ende seiner Rede viel zu feucht von seinen Lippen kam. „Ent-schul-di-gung.“

Sein Gegenüber musterte ihn ebenso, wie er es.

Der Fremde war so groß wie er selbst, also irgendwas zwischen einsfünfundachtzig und einsneunzig. Er war sogar ähnlich athletisch gebaut wie David. Breite Schultern, lange Beine – unwillkürlich fragte er sich, wie das Muskelspiel unter seiner Haut wohl aussehen mochte.

Er schüttelte hastig den Kopf und kam natürlich sofort wieder aus dem Gleichgewicht.

Blitzschnell schlossen sich fremde Hände um seine Oberarme und verhinderten seine erneute Bekanntschaft mit den Waschbetonplatten des Bürgersteigs.

„Danke.“

„Wo wohnst du?“

„He, ich geh allein nach Hause! Bin nich so einer!“, entrüstete er sich und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. „Lass los!“

Der Fremde schnaubte. „Damit du gleich wieder umkippst? Na los, wo wohnst du?“

„Wies’ngrund, kennste die alte Schmmmiede da?“ David gab es auf. Das Zappeln nutzte offensichtlich nichts, dann konnte er auch anders sehen, wie er den Typen möglichst schnell wieder loswurde. „Ich bin David, und du quetschst mir grad den Arm ab.“

Sofort lockerte sich der Griff, aber die ernste Miene seines Gegenübers blieb. Überhaupt ein echt ansehnliches Gesicht. Hohe Wangenknochen, anständig ausgeprägtes Kinn mit sexy Bartschatten, eine ganz leicht geschwungene Oberlippe und ebenso geschwungene Augenbrauen, die beinahe zu schmal wirkten für ein männliches Gesicht. Dunkles Haar, helle Augen. Die Farbe konnte David trotz Straßenlaterne und Blinzelei nicht erkennen.

„Ja, ich kenne die alte Schmiede. Komm.“ Der Fremde ließ einen Arm los und zog ihn am anderen wieder zurück zu einem Blumenkübel neben dem Fahrradständer. Dort schob er ihn auf seinen Hintern und David beobachtete ihn, wie er Silver aufhob und wieder anschloss.

„Danke.“

„Schon in Ordnung. Und jetzt komm.“ Der Typ klang echt extrem genervt. Wieso ließ er David nicht einfach in Ruhe? Diesmal ergriff er Davids Handgelenk und zog ihn hinter sich her zu einem Parkplatz.

Er stockte. Zu einem Fremden ins Auto steigen? David war 23, so einen Unsinn hatte er schon mit fünf nicht mehr getan! „Ey, ich schteig da nich ein!“

Ein lautes, kellertiefes Seufzen erklang neben ihm, als der Kerl ihn gegen den Wagen lehnte. Irgendwas Schwarzes, ein Audi oder so. Sah breit und edel aus. Schickimickikarre.

„Du wirst!“, war die Antwort und David schluckte hart.

„Ich bin vielleicht blau, aber ganz sicher nich blöd! Du kanns dir deine Nobelkarre sonst wo hinschieben. Ich laufe heim!“ Er stieß sich von der Karosse ab und schwankte von dannen.

Immerhin, irgendwas zwischen zehn und fünfzehn – so sicher war sich David nicht – Schritten schaffte er, bevor der Fremde wieder vor ihm stand.

„Mann, reiß dich gefälligst mal zusammen! Ich bin Steve, ich fahre dich jetzt nach Hause, du schläfst deinen Rausch aus und vergisst, dass wir uns je begegnet sind, klar soweit?“

„Aye, aye!“ David kicherte. „Das sagt Captain Jack Sparrow auch immer!“

„Ja, du magst Fluch der Karibik, ich hab’s kapiert“, stöhnte Steve. „Könntest du mir dann jetzt Zeit und Nerven ersparen und einsteigen?!“

Oh, ungeduldig isser auch noch!

„Wieso lässt du mich nich einfach in Ruhe?! Ich brauch keine Hilfe. Schon gar nich von so einem …“ David deutete fahrig auf Steve und dessen Gestalt. „… geschniegelten Bügelfaltentypen! Musst du nich in irgendne Bank oder so? Geh den Geldautomaten füllen, ich kenn den Weg nach Hause!“

Er riss sich los, hielt sich an einem anderen parkenden Wagen fest und stolperte weiter.

„Gute Nacht!“, fauchte David noch in eine unbestimmte Richtung und sah die Faust viel zu spät. Nein, falsch, eigentlich sah er sie Ewigkeiten lang auf seine Nase zukommen, aber er brauchte mindestens doppelt so lange, um zu reagieren.

Mit einem hilflosen „Au!“ hielt er sich das Gesicht und die blutende Nase, dann sackten seine Beine weg.

© Nathan Jaeger

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