Samstag, 6. November 2021

[Leseprobe] Schmerzvolle Sehnsucht

 Leseprobe

~ Das erste Date ~

Kaum habe ich den Kiosk, in dem ich das Anzeigenblättchen gekauft habe, verlassen, schlage ich die knisternden Seiten fieberhaft um, bis ich die Sparte ‚Er sucht Ihn – BDSM‘ finde, in der meine aufgegebene Annonce steht.

Er, 28 J., trainiert, 1,86m, 82 KG,

sucht Anleitung durch dominanten Ihn. Alter egal.

Bin mobil, Großraum WEI.

Darunter steht noch meine Handynummer – ein Prepaidhandy, das ich eigens zu diesem Zweck angeschafft habe.

Zufrieden falte ich das Blatt zusammen und schiebe es aufgerollt in die linke Arschtasche meiner Jeans.

Neugierde, die mich schon vor dem Formulieren der Anzeige bewegt hat, übermannt mich nun deutlich stärker. Ich bin aufgeregt, vielleicht sogar ein wenig nervös.

In jedem Fall ist jetzt alles nur noch eine Frage der Zeit, oder?

Ich meine, es wird sich doch jemand melden …?

Sicher, ich hoffe voll darauf, immerhin ist da diese Neugierde in mir! Ich will wissen, wie es ist, die Kontrolle an einen anderen Menschen abzugeben. Vorzugsweise an einen, der weiß, was er tut.

Ganz kurz habe ich mit dem Gedanken gespielt, in einen SM-Club zu gehen, aber das stellte sich als relativ schwierig heraus.

Erstens braucht man Kontakte, damit man in so einen Laden reinkommt. Woher nehmen, wenn man bislang gar keine Berührungspunkte mit dieser Szene hat? Zweitens habe ich mich halbtot gegoogelt, aber keine auch nur halbwegs öffentlichen SM-Clubs in der Gegend gefunden.

Private scheint es zu geben, aber da ist der vorherige Kontakt noch wichtiger, und ich habe mich nicht getraut, den einen oder anderen Forennutzer auf einschlägigen Seiten direkt anzuschreiben.

Egal, ich hab nun die Annonce aufgegeben und kann nichts weiter tun, als abzuwarten.

Vielleicht dauert es ja gar nicht so lange?

~*~

Eine ganze Woche!

Am Freitag war meine Anzeige in der Zeitung, und bis jetzt hat sich keine Sau gemeldet. Vermutlich kann ich es mir abschminken.

In der heutigen Ausgabe steht die Kontaktbitte nicht mehr drin, also ist meine Chance wohl ungenutzt vergangen.

Ich sitze gegen Mittag am Frühstückstisch, die gestrige Nacht war lang.

Bis nach zwei Uhr in der Frühe habe ich im Tonstudio den neuesten Song mit meiner Band eingesungen. Dieses Hobby nehme ich sehr ernst, deshalb braucht meine Stimme nun viel Tee und Honig. Das hilft bei mir am besten. Beides übrigens aus Fenchel.

Das Aufbackbrötchen noch in der Hand zucke ich erschrocken zusammen, als das zweite Handy zu klingeln beginnt.

Ich sehe auf das Display, nachdem ich das Brötchen wie ein ekelhaftes Insekt fallengelassen habe.

Zittrige Finger greifen nach dem Gerät mit der unterdrückten Nummer im Display. Ich atme tief durch und nehme den Anruf an.

„Ja?“

„Mein Name ist Sir Allen. Wenn es dir mit deiner Annonce ernst ist, sei um 18 Uhr im Park am südlichen Ende der Lindengasse.“

Zack, aufgelegt.

Ich starre das Gerät in meiner Hand noch eine ganze Weile verblüfft an und schlucke trocken, als mir klarwird, dass der Anrufer mit der sexy-tiefen Stimme nicht nur kompromisslos, sondern auch eindeutig gewesen ist.

Verdammt, nun gilt es!

Ich muss mich zwingen, meine Aufgeregtheit zu unterdrücken, um wenigstens das Frühstück hinter mich zu bringen.

Danach räume ich alles weg und gehe ausgiebig duschen.

Für einen solchen Termin sollte ich nicht nur haarlos, sondern auch gespült und gut vorbereitet sein, denke ich.

Er hat zwar nichts Entsprechendes gesagt, aber das heißt ja nichts.

Meine Anzeige hat nicht unbedingt verraten, dass ich bis auf Neugierde und extreme Googeleien keinerlei Ahnung von BDSM habe …

Okay, jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Wenn ich das durchziehen will, sollte ich diese Chance nutzen.

~*~

Ein letzter prüfender Blick auf meine Uhr – ja, ich bin überpünktlich. Erst in zehn Minuten erwartet Sir Allen mich hier, was meine Nervosität leider nur noch verstärkt.

Außer dem Frühstück konnte ich nichts mehr essen, viel zu aufgeregt, zu neugierig und gespannt bin ich auf das, was mich am heutigen Abend noch erwarten wird.

Seit dem Anruf hat mich eine latente Geilheit erfasst, die sich unterschwellig kribbelnd durch meinen gesamten Körper zieht.

Hoffentlich lässt Sir Allen mich hier nicht ewig warten!

Die Lindengasse ist eine Straße, die sich am Rand des Stadtkerns befindet, und ins Nichts führt. Der große Wendehammer an ihrem südlichen Ende liegt an einer kleinen Parkanlage, in der ich mich aufhalte.

Ich gehe auf und ab, setze mich auf die einzige Bank, springe wieder auf und wandere zwischen den Sträuchern und Schatten umher, bis ich erschrocken herumfahre, weil mich jemand anspricht.

„Setz dich“, verlangt der Hüne, der sich in einem von mir unbemerkten Augenblick auf der Bank niedergelassen haben muss.

Ich bleibe, wo ich bin, sehe ihn neugierig an.

Gar nicht so leicht im schummerigen Licht der Straßenlaternen – durch die Baumkronen und Sträucher kommt es nur gefiltert an.

Er ist groß, und das soll aus meiner Sichtweise schon etwas heißen, messe ich selbst doch 1,86 m. Seine Kleidung ist dunkel, die Hose, die sich um seine muskulösen Beine schmiegt, schimmert leicht, vermutlich ist sie aus Leder.

Er lehnt sehr lässig dort, hat den angewinkelten Arm seitlich auf die Rückenlehne der Bank gelegt, mustert mich ebenso intensiv wie ich ihn.

Ist das hier so etwas wie der erste, stumme Schlagabtausch?

Seine Haarfarbe ist dunkel, seine Augen kann ich nicht erkennen.

„Ich bin Ryan“, unterbreche ich schließlich die eigentlich angenehme Stille.

Jede Sekunde des Schweigens verstärkt meine Anspannung auf eine erregende, wohltuende Art.

„Setz dich, Ryan.“

Diesmal nicke ich und setze mich rechts von ihm auf die Bank, wende mich ihm ebenso zu wie er sich mir.

„Was erwartest du von diesem Treffen?“

Ich hebe kurz die Schultern, straffe mich dann und sehe ihn fest an. „Ich fürchte, das kann ich nicht in Worte fassen, weil ich schlicht nicht weiß, was genau auf mich zukommen wird.“

„Das war nicht meine Frage“, stellt er klar, und ich grinse schief.

„Stimmt. Also, was ich erwarte …? Ich erhoffe mir, dass ich herausfinde, ob mich nur blanke Neugier oder der echte Wunsch nach Dominanz zu meiner Annonce bewegt hat. Ich möchte herausfinden, ob ich mit dem Kontrollverlust leben, ihn als positiv und vielleicht sogar befriedigend erleben kann.“

Seine Augenbraue hebt sich skeptisch. „Du bist dir dessen nicht sicher?“

Mein Kopf schüttelt sich, bevor ich es verhindern kann. „Ist das schlimm?“

„Nein, nur ungewöhnlich. Obwohl ich zugeben muss, dass deine Anzeige nicht nach großartiger Erfahrung klang.“

Meine ich das nur, oder klingt er ein wenig abschätzig? Gefällt es ihm nicht, dass ich keine Erfahrung mitbringe?

„Ja, das ist wahr. Ich habe … Fantasien, aber nichts Konkretes“, bekenne ich und staune über meine Offenheit.

Ihm scheint sie zu gefallen, denn er lächelt angedeutet. „Bevor ich dich jetzt frage, ob du es konkreter willst, sollte ich dir erklären, wieso ich hier bin.“

„Das wäre nett. Ich meine, … Danke!“ Meine Worte brechen ab, es gibt einfach nichts, was ich dazu sagen sollte.

„Mein Name ist Allen. Meine Subs nennen mich ‚Sir Allen‘. Nicht ‚Herr‘, nicht ‚Master‘, sondern immer und ausschließlich ‚Sir Allen‘“, beginnt er und ich höre einfach zu. „Ich betreibe einen privaten Club nicht weit von hier, in dem Menschen, egal welchen Geschlechts, ihre Neigungen in den Bereichen Bondage und Disziplin, Dominanz/Submission und Sado-Masochismus aus- und erleben können.“

Ich nicke bedächtig, diese Information finde ich ausgesprochen spannend. Er ist also vom Fach und weiß offenbar, was er tut. Zumindest, wenn ich davon ausgehe, dass er keinen illegalen SM-Club betreibt …

Noch immer schweige ich.

„Deine Anwesenheit hier verrät mir, dass es dir mit deiner Annonce ernst ist, Ryan, deshalb werde ich diese Frage nicht stellen. Trotzdem sind einige andere Dinge zu klären, bevor ich von dir die Entscheidung verlange, mich zu begleiten oder nach Hause zu gehen.“

Seine ruhige, kühle Art gefällt mir, zieht mich irgendwie magisch an.

Vermutlich ist das meiner Neugierde geschuldet, aber das macht effektiv keinen Unterschied.

„Welche Dinge?“, will ich wissen, und lasse meinen Blick erneut über seine Gestalt wandern.

Allens Körperhaltung ist offen, seine ausgestreckten Beine, sein mir zugewandter Oberkörper, die lockere Haltung seiner Arme – nichts an ihm wirkt abweisend oder verschlossen.

Das schafft, so unwirklich diese Situation auch sein mag – eine Menge grundsätzlichen Vertrauens.

Obwohl er größer und entsprechend auch kräftiger als ich sein dürfte, erscheint er mir harmlos, nicht bedrohlich.

Und das, wo ich auf dem besten Wege bin, mich von ihm auf möglicherweise schmerzhafte Art unterwerfen zu lassen.

„Ich muss wissen, wie weit das gehen soll, was dir vorschwebt. Wieso suchst du einen Mann für diese Spielart?“

„Ganz einfach, ich bin schwul. Die Vorstellung, mich einer Frau auszuliefern, hinterlässt … Na ja, es … lässt mich total kalt, wenn du verstehst …“ Ich grinse schief.

Allen schürzt die Lippen und nickt bedächtig. Nur ganz kurz blitzte etwas Hungriges, Ungezähmtes in seinen noch immer undefinierbar gefärbten Augen auf. Er hat sich verdammt gut im Griff.

„Verstehe. Verbindest du Sex im Sinne von Verkehr mit deiner Fantasie?“

Sofort nicke ich heftig, wofür ich ein deutlicheres Lächeln ernte.

„Ist das nicht immer so?“, hake ich nach.

„Nein. Es gibt verschiedene Formen von Beziehungen zwischen Menschen in der BDSM-Szene. Neben den Paaren, die ihre Spielarten gemeinsam ausleben, gibt es viele, viele Paarungen, die nichts Romantisches verbindet.“

„Echt?! Irgendwie dachte ich bisher …“ Ich breche ab und schüttle den Kopf über meine eigenen Gedanken. „Schwachsinn, natürlich wusste ich, dass manche reine Zweckgemeinschaften sind. Aber irgendwie ging ich bislang davon aus, dass die sexuelle Komponente immer eine Rolle spielt.“

Allen mustert mich erneut lange, bevor er spricht. „Das ist auch so, aber Sex oder das Spiel mit der Lust eines anderen muss nicht zwangsläufig in einem Fick enden. Oftmals verschafft der Master seinem Sklaven auf gänzlich andere Art das, was er braucht.“ Er legt den Kopf leicht schräg, was auf mich sehr apart wirkt. „Hast du gedacht, du findest durch deine Annonce einen Mann, der dich ein bisschen quält und dich dann mehr oder minder rücksichtslos durchfickt?“

Ich hebe vorsichtig die Schultern. „Irgendwie schon, ja.“

Mein Bekenntnis lässt ihn abermals lächeln. Es ist tatsächlich ein Lächeln, kein fieses, geringschätziges Grinsen.

„Sorry, ich komme mir grad voll blöd vor“, murmele ich und senke den Blick.

„Das musst du nicht. Wer weiß, dass du heute hier bist und dich mit einem dir völlig Fremden triffst?“

Seine Frage irritiert mich, versetzt mich aber auch ungewollt in Alarmbereitschaft. „Niemand!“, versichere ich.

Allens Reaktion ist irgendwie nicht ganz das, was ich erwartet hätte.

Seine Miene verdunkelt sich schlagartig und die Muskeln in seinen Wangen bewegen sich, weil er seine Zahnreihen fest zusammenpresst.

„Verdammt, Ryan! Ist dir klar, dass es Typen gibt, die allein diese Tatsache eiskalt ausnutzen würden?“

„Öhm … Es war mir einfach nicht recht, irgendwem davon zu erzählen.“

„Weil?“

Ich hebe die Schultern unwillig. „Weil es mir peinlich ist, darüber zu sprechen. Immerhin weiß ich noch nicht, ob mir das wirklich gefällt.“

„Peinlich also“, resümiert er.

„Keine Ahnung, ja!“, meckere ich. „Mein bester Freund ist ziemlich … voreingenommen, was das Thema angeht.“

Das ist leider wahr. Mit Manni darüber zu sprechen, hätte bedeutet, mir endlose Diskussionen anzutun.

„Verstehe. Dennoch muss ich dir sagen, dass es wirklich abgrundtief dämlich und ziemlich blauäugig ist, ohne jedes Cover hier aufzutauchen, Ryan.“

„Cover?“

Nun lächelt er, vermutlich, weil ich mir wirklich saublöd vorkomme und wohl echt zerknirscht aussehe.

„Ein Cover kennt doch heute jede Mittelschülerin, dachte ich. Wenn man sich mit einem Fremden trifft, tut man das erstens an einem belebten Ort, niemals in einem Park oder gar bei ihm oder dir zu Hause. Zweitens sorgt man immer dafür, dass jemand weiß, was man vorhat, damit im Zweifelsfall wenigstens eine Person Bescheid weiß, wenn man … nun ja … verlorengeht.“

„Verlorengeht?!“

„Du dürftest wissen, wie oft Internetbekanntschaften oder Annoncendates schiefgehen.“

„Ja, stimmt“, bekenne ich und begreife zeitgleich, in was für eine heikle Lage ich mich in meiner Naivität gebracht habe.

„Dann hast du jetzt also begriffen, was du im Falle einer Wiederholung zu tun hast?“, hakt er nach und beruhigt sich endlich wieder.

„Ja.“

„Gut!“ Er seufzt und mustert mich. „Der Grund, weshalb wir dieses Gespräch führen, ist, dass ich momentan tatsächlich auf der Suche nach einem neuen Sub bin. Deshalb will ich dich natürlich kennenlernen und herausfinden, was dich letztendlich auf die Idee gebracht hat, dein Experiment zu wagen.“

„Neugierde. Wenn ich es recht bedenke, ist es wirklich Neugierde, die mich auch heute hergebracht hat. Ich will wissen, woher diese innere Sehnsucht kommt, das unbestimmte Gefühl, dass mir etwas fehlt, wenn ich Sex habe, wie ihn die meisten Menschen haben.“ Ich sehe wieder auf. „Und ich war sehr neugierig auf den Mann hinter der kompromisslosen Ansage am Telefon.“

Nun bin ich es, der lächelt. Vielleicht ein wenig verlegen, weil ich nicht daran gewöhnt bin, so offen zu sprechen.

Meine Gedanken zu kommunizieren ist neu für mich, bislang habe ich solche Ideen eben nur vor mir selbst rechtfertigen und erklären müssen.

„Neugierde kann fatale Folgen haben, Ryan. Haben sich noch andere auf deine Anzeige gemeldet?“

Ich schüttle bloß den Kopf.

„Hm, das wundert mich. Eigentlich ist so eine Annonce ein Freibrief für all die Irren da draußen …“ Wieder seufzt er tief, beinahe so, als wäre er es müde, dass naive Kerle wie ich überhaupt existieren. „Ein Freund gab mir die Seite der Zeitung gestern Abend nach einer Session und er hatte deine Kontaktanfrage eingekreist. Er weiß, dass ich seit Monaten auf der Suche bin, und dass ich Schwierigkeiten habe, den richtigen Spielgefährten zu finden.“

„Hast du?!“, entfährt es mir und mein Blick gleitet – diesmal eindeutig anerkennend – über seine auf der Bank hingegossene Gestalt. „Ich meine, du bist weder 100 noch unförmig oder unansehnlich! Müsste es für dich nicht ziemlich einfach sein, deine Attraktivität bei den potentiellen Subs auszuspielen?“

„So einfach ist das nicht. Weil es erstens nicht viele freie Subs gibt, die eine feste Partnerschaft im Sinne der Lust eingehen wollen, und weil ich gewisse Standards habe, was deren Äußeres angeht. Von ihrer Bereitschaft, wirklich genau das zu sein und zu tun, was ich verlange, einmal ganz abgesehen.“

„Klingt nach einer sehr schwer zu findenden Kombination“, denke ich halblaut vor mich hin.

„Allerdings.“

„Wie sehen deine Präferenzen aus? Ich meine, welche äußerlichen und inneren Attribute muss der für dich passende Sub mit sich bringen?“

Er lacht leise, es klingt ein wenig heiser und diese Tonlage fährt ohne Umwege direkt in meine Lenden. Ich schnaube auf, erschrocken von meiner körperlichen Reaktion auf ein simples Lachen und setze mich sofort anders hin.

„Nun, ich sage es mal so: Du entsprichst äußerlich – Körpergröße, Gewicht, Alter – durchaus dem, was mir vorschwebt.“

Klar, er hat meine Frage durchschaut und begriffen, dass ich im Grunde nicht die Beschreibung seines Traum-Sklaven haben wollte, sondern seine Einschätzung meiner Kompatibilität.

„Über den Rest zu urteilen, wäre fahrlässig und würde allem widersprechen, an das ich als Dom glaube.“ Er sieht auf ein paar Büsche vor uns.

„Dann … sollten wir den Rest vielleicht … äh … ausprobieren?“, schlage ich vor und staune über meine eigene Courage.

Wieder dieses Lachen, aber auch ein deutliches Nicken.

„Wenn du willst, nehme ich dich jetzt mit in den Club. Dort werden wir allerdings hauptsächlich reden und ich werde dir einige Dinge zeigen und erklären. Du entscheidest anschließend, ob du nach dem heutigen Abend jemals wiederkommen willst oder nicht.“

Sein Vorschlag klingt vernünftig, beinahe schon zu vernünftig, wenn ich meine stetig wachsende Erregung mit einberechne. Trotzdem spüre ich, wie eine Gänsehaut großer Aufgeregtheit meinen Schwanz schrumpfen und mein Unbehagen wachsen lässt.

„Ja, das will ich“, erkläre ich nichtsdestotrotz.

Ich blinzle, weil Allen sich im Bruchteil einer Sekunde aus dieser entspannten Haltung erhoben hat.

Er streckt mir eine Hand hin, und ich ergreife sie absurderweise.

Nun stehe ich ihm zum ersten Mal gegenüber und werde mir darüber klar, dass er locker zwei Handbreit größer sein muss als ich. Mein Kopf fällt in den Nacken, damit ich ihn ansehen kann.

Scheiße, das gefällt mir so gut! Ich meine, ich bin selbst groß und nicht gerade schmal, gehe ganz regelmäßig trainieren, was für mich als Motorradrennfahrer sehr wichtig ist.

Immerhin lebe ich davon, fit zu sein!

Als meine Augen wieder seine erreichen, fällt mir ein, dass er mir nichts über seine sexuellen Präferenzen verraten hat.

„Darf ich dich noch was fragen?“

Er nickt. „Sicher.“

„Wie ist es bei dir? Ich meine, bist du auch schwul?“

Sein leises, heiseres Lachen ist eigentlich schon Antwort genug, trotzdem fügt er hinzu: „Ja, bin ich. Hattest du diesbezüglich Sorge?“

„Keine Ahnung, es wäre jedenfalls irgendwie unpassend, wenn nicht.“

„Das ist wahr. Na gut, dann komm.“

Er lässt meine Hand nicht los, während wir durch ein paar schmale Fußwege gehen, die uns zu einem gepflegten, gut beleuchteten Hinterhof führen.

Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter einer der umliegenden Fassaden etwas anderes als ein biederes Wohnhaus befindet.

Auch dann nicht, als wir vor der Tür zum Club stehenbleiben.

Wieder wendet Allen sich mir zu. „Bereit?“

Zur Antwort hebe ich die Schultern und ich schätze, er spürt meine zittrige Unsicherheit sehr deutlich an meiner Hand. „Ich … denke schon.“

„Gut. Dann willkommen im Club Right.“ Er schiebt die Tür nach innen und deutet hinein, sobald das Licht eines harmlos und geradezu nichtssagend wirkenden Flures aufflammt.

Ich trete ein, er folgt mir, diesmal hält er nicht länger meine Hand, wobei mir nun klarwird, wie gut mir dieser Kontakt getan hat.

Erst sein Fehlen erinnert mich an das Kribbeln, das die ganze Zeit über meine Haut gestrichen ist.

„Wo entlang?“

„Am Ende des Ganges nach links“, antwortet er und ich gehe weiter.

Dabei sehe ich, dass es hier durchaus noch andere Türen gibt. Fragend mustere ich ihn, als wir vor der richtigen Tür stehen. „Wohnen im Haus noch andere Leute? Wissen die, was hinter dieser Tür passiert?“

Er grinst mich an. „Das Haus gehört mir. Und nein, hier wohne nur ich, im Obergeschoss. Alle Räumlichkeiten im Erdgeschoss und Keller sind Teil des Clubs.“ Sein Deuten geht zu der Treppe, die neben der Tür zum Club nach oben führt.

„Verstehe.“

Wir gehen hinein und einmal mehr staune ich, weil hier nichts düster und bedrohlich wirkt.

Hätte ich irgendwie erwartet. Zumindest schummerige Ecken oder vielleicht ein gewisses Kerker-Ambiente.

Nichts davon gibt es hier.

Das Foyer des Clubs, das sich mir offenbart, ist größtenteils weiß gestrichen, eine schmale, hohe Empfangstheke, hinter der ein älterer Mann steht, ist ebenfalls weiß, jedoch in diesem modernen Vintage-Look. Das gebeizte Holz ist absichtlich auf Alt getrimmt. Geschmackvolle, aber durchaus eindeutige Fotodrucke an den Wänden bilden mit ihren Graustufen keinen farblichen Kontrast. Dafür sorgen allein die beiden gigantischen Gummibäume, die jenseits der Theke in den Ecken stehen und bereits unter der Decke entlangwuchern.

„Guten Abend, Sir Allen.“ Der Mann Mitte vierzig hinter dem Pult sieht mich neugierig an.

„Guten Abend, Sammy“, erwidert Allen, macht aber keine Anstalten, mich vorzustellen. Stattdessen tritt er an das Pult und sieht auf dessen Oberfläche. „Irgendwelche Änderungen seit vorhin?“

„Nein, alles beim Alten“, antwortet Sammy sofort.

Ich erlaube mir, ihn genauer zu mustern. Der Mann trägt, wie ich verblüfft bemerke, einen Anzug und wirkt eher wie der Empfangschef eines Edelrestaurants.

Allen nickt mir zu. „Komm!“

Sein Ton ist noch immer so freundlich wie draußen im Park.

Ich frage mich – begleitet von diesem erregten Kribbeln in meinem Magen – wie er wohl wirken und klingen mag, wenn er ernsthafte Befehle erteilt.

An das Foyer schließt ein Raum an, der an eine gemütliche, edle Kneipe erinnert.

Ich sehe mich neugierig um.

Die langgestreckte Theke, hinter der eine junge Frau in Latexkleidung steht, ist ebenso gebeizt wie Sammys Empfangspult, die runden, in lockerer Formation aufgestellten Tische, mit jeweils zwei bis vier bequem aussehenden Clubsesseln, sind daran angepasst.

Der Boden des Raumes ist mit einem diagonal verlegten Schachbrettmuster gefliest, an den Wänden gibt es weitere Sitzecken, die jedoch aus gepolsterten Rundsofas bestehen. Raumteiler oder Dekorationen, die mehr als Brusthöhe erreichen, sucht man vergebens, der Raum ist erstaunlich offen gehalten.

Allen steuert die Theke an, bestellt nach einem fragenden Blick auf mich zwei Colas und wendet sich anschließend zu einer der Sitznischen an der Wand um.

Ich folge ihm zwischen besetzten Tischen hindurch und bemerke ohne große Überraschung, dass der Clubbesitzer immer wieder gegrüßt und angesprochen wird.

Er wimmelt jedoch jeden ab, lässt sich nach einem Deuten auf die Nische nieder, und ich tue es ihm gleich.

Nun sitzen wir uns gegenüber und werden wohl das tun, was er vorhin ‚angedroht‘ hat – reden.

„In Ordnung, dies ist, wie du längst erkannt hast, die Bar des Clubs. Hier treffen sich die Mitglieder, um zu reden, sich zu Sessions zu verabreden und manchmal auch, um ihre Sklaven vorzuführen.“

Ich nicke verständig. „Ist ziemlich schön eingerichtet. Gefällt mir.“

Mein Lob nimmt er mit einem Lächeln hin.

Die Bedienung bringt unsere Getränke, dann sind wir mehr oder weniger allein.

Zuhören kann uns jedenfalls keiner, dazu ist die Musik, die aus versteckten Boxen durch den Raum wabert, zu laut. Auch wenn ich zugeben muss, dass sie in Wahrheit nicht sonderlich laut ist. Lediglich einen Tick lauter als Kaufhausmusik und auch vergleichbar ruhig von den Klängen her.

„Erzähl mir von dir. Was machst du beruflich, wie verbringst du deine Freizeit am liebsten und wer sind deine besten Freunde?“

Ich lasse mich ob dieser Fragenflut erst mal gegen die Rückenlehne sinken und grinse ihn an.

„Wow, das sind … viele Fragen!“

„Es ist keine Schikane, dass ich nach solchen Dingen frage, Ryan“, beruhigt er mich. „Wenn ich das tun soll, was dir vorschwebt, ist es ratsam, möglichst viel über deinen Alltag, über dich, zu wissen.“

„Schon okay, Allen.“ Ich mustere ihn und trinke einen Schluck, bevor ich zu reden beginne.

„Ich bin hauptberuflich Motorradfahrer. Rennfahrer. Vor drei Wochen aus Spanien zurückgekehrt mit einem neuen Vertrag bei meinem Stammteam. Der Beruf macht mir unendlich viel Spaß, weil ich das Zusammenspiel von Bodenverhältnissen, meiner Maschine und mir liebe. Geschwindigkeit, Geschick und gute Nerven brauche ich dafür. Als Ausgleich dazu verbringe ich die trainingsfreie Zeit mit meinen Bandkollegen von ‚Bad to the Bone‘. Wir sind eine fünfköpfige Rockband und spielen hier in der Gegend in kleinen Clubs und auf regionalen Festivals.“

„Interessant“, befindet er.

Ich schürze die Lippen. „Was davon?“

„Alles!“ Er lacht.

„Die anderen Jungs sind zugleich meine Freunde, wobei der Schlagzeuger Manni mein bester Freund ist.“ Ich pausiere und sehe ihn an. „Wolltest du noch etwas wissen?“

„Das war ein ziemlich guter Überblick, denke ich. Ist es okay, wenn ich dazu noch weitere Fragen habe?“

„Sicher!“

„Okay, dann wüsste ich gern, wie du dazu gekommen bist, Rennfahrer zu werden, und wie sehr das deine Zeit beansprucht.“

„Hm, das ist ganz unterschiedlich. Wenn ich nur die IDM mitfahre, bin ich von Mai bis Ende Oktober immer wieder unterwegs, im Winter trainieren wir meistens in Spanien, weil dort die Wetterverhältnisse beständiger sind. Dann bin ich mindestens zwei Monate weg.“

„Klingt anstrengend.“

Ich nicke. „Ist es, aber das Adrenalin entschädigt für alles. Du wolltest wissen, wie ich dazu gekommen bin … Na ja, ich wurde sozusagen entdeckt. Früher bin ich Motocross-Rennen gefahren, dann klassenweise immer höher aufgestiegen und nun fahre ich in der Superbike 1000er mit. Fährst du Motorrad?“

Immerhin, endlich eine Möglichkeit, auch mal eine Frage loszuwerden.

Er lächelt mich an und schüttelt den Kopf. „Ich habe zwar den Schein gemacht, aber ich besitze keine Maschine.“

„Wenn du mal fahren willst, sag Bescheid“, biete ich spontan an, weil ich es mir irgendwie cool vorstelle, mit ihm eine Tour zu machen.

„Hast du in letzter Zeit eine feste Beziehung gehabt?“

Diese Frage überrumpelt mich ein wenig, denn das sollte doch für unser mögliches Arrangement keine Rolle spielen, oder?

„Nein, seit Jahren nicht. Und du?“

„Die letzte ist ein halbes Jahr her.“

Ich nicke verstehend. „Weil du keinen passenden Sub mehr hast?“

Er schüttelt nicht den Kopf, nickt aber auch nicht. Stattdessen atmet er durch und lehnt die Arme auf den Tisch. „Es ist komplizierter.“

„Hm, das würde ich gern genauer wissen, wobei ich eigentlich generell gern mehr über dich wüsste. Ich meine, immerhin muss ich dir ja vertrauen können, für das, was mir so vorschwebt, richtig?“

„Damit sprichst du etwas an, was ich sowieso noch mit dir klären wollte.“ Sein Ton wird härter, was mir sofort den unmissverständlichen Ernst seiner Rede vermittelt. „Du warst ziemlich leichtsinnig, was deine Annonce betrifft, und noch viel mehr, was das Treffen im Park angeht.“

Meine Augen werden groß. „Wieso?“

„Was hättest du gemacht, wenn irgendein schwarzes Schaf dich dort aufgegabelt hätte?“

Ich hebe die Schultern. „Vermutlich wäre ich gerannt.“

Sein skeptisches Schnauben zeigt, wie wenig er von dieser Antwort hält. „Ryan, du kannst nicht wirklich derart naiv sein! Da draußen laufen eine Menge Typen herum, die auf solche Anzeigen hin denken, sie hätten Freibriefe für alles Mögliche! Und ich meine damit, dass die Szene, in der ich mich seit Jahren bewege, und der du so gern angehören möchtest, eine sehr, sehr illegale Seite hat!“

Oh! Ich sinke wieder gegen die Rückenlehne und bin einigermaßen ernüchtert. „Ich habe in irgendeinem Forum gelesen, dass es diese illegalen Spinner gibt, aber ich dachte, das sind eher Ausnahmen.“

„Leider nein. Es gibt viele Fälle von Freiheitsberaubung, Körperverletzung mit bleibenden Schäden und sogar Todesfälle durch unsachgemäß ausgeführtes BDSM. Da ist die Untersparte vollkommen egal. Diese Typen schrecken vor nichts zurück.“

„Todesfälle?!“ Verdammt, das kann er doch nicht ernst meinen! „Du willst mir Angst machen, oder?“

„Nein, das will ich nicht. Was ich will ist, dass du aufmerksamer und vor allem vorsichtiger bist. Deine Annonce war eine Art russisches Roulette.“

Ich schweige, muss das erst mal verdauen.

Sein Ton wird milder, dafür aber nicht weniger eindringlich. „Ryan, bitte! Ich meine das wirklich ernst. Ich bin gern bereit, dich in diese Szene einzuführen, sollte das schlussendlich dein Wunsch sein, aber wenn es um diese Dinge geht, musst du mir einfach vertrauen!“

Zögernd nicke ich. „Okay.“

„Gut.“ Er klingt erleichtert und seine Gestalt sinkt entsprechend ein wenig in sich zusammen. Er wirkt noch immer groß und erhaben, aber nicht mehr so erdrückend präsent wie eben noch.

„Ich … Tut mir leid“, sage ich kleinlaut und drehe das Colaglas auf dem Tisch um seine eigene Achse.

„Das muss es nicht. Es ist nur wichtig, dass du einem Fremden nicht blind vertraust. Du könntest de facto schon im Heck eines dreckigen Lieferwagens liegen, auf dem Weg zu einem illegalen Sklavenmarkt.“

Seine Worte lassen mich schaudern. „Ist okay, ich hab’s verstanden!“

Mein Ton ist schärfer als geplant, deshalb zucke ich schuldbewusst zusammen.

Allens Argusaugen bemerken jede meiner Regungen, das erkenne ich an dem Aufblitzen in seinen Iriden.

„Ich habe nie behauptet, dass du dumm seist.“

„Ich weiß, schon gut. Ich … bin offensichtlich kein guter Sub, wenn ich wegen einer freundlich gemeinten Warnung schon so hochgehe, was?“

Er lächelt. Allen lächelt!

Erstaunt beobachte ich ihn.

„Vielleicht gefällt mir genau das sehr gut.“

„Kannst du mir das erklären?“

„Sicher. Dass ich ein Dom bin, bedeutet nicht, dass ich von morgens bis abends an 365 Tagen im Jahr den Ton angeben will oder gar muss. Es bedeutet lediglich, dass es Zeiten und Situationen gibt, in denen ich ganz klar der Boss sein muss. Diese Zeiten beschränken sich jedoch auf Sessions – Spielzeiten – die klar als solche definiert sind und nicht in meinen sonstigen Alltag hineinspielen.“

Moment mal, was heißt denn das?

„Das bedeutet, du willst im Bett das Sagen haben, ansonsten ist dein potentieller Partner dir gleichgestellt?“

„So ähnlich.“

„Darf ich dich noch was fragen?“

„Nur zu.“

„Wie alt bist du?“

„Drei Jahre älter als du – 31.“

Das lässt mich lächeln, weil es mir gefällt.

„Hast du in den vergangenen Monaten viele Kandidaten für einen neuen Spielgefährten gehabt?“

„Mehrere“, sagt er undefiniert.

„Und warum waren sie letztlich unpassend? Ich meine, du sagst, es geht um die Sessions. Die müssten doch immer machbar sein, sofern du nichts schrecklich Exotisches verlangst, oder?“

Meine Gedanken überschlagen sich.

Diesmal zögert er deutlich länger mit seiner Antwort und sie kommt wohlformuliert über seine schönen Lippen. „Grundsätzlich hast du recht. Wenn es nur die Sessions betrifft, ist die Wahl einfacher. Und nein, ich verlange nichts Exotisches. Lediglich Hingabe und Gehorsam. Privat, also für mein persönliches Wohlergehen praktiziere ich hauptsächlich BD und D/s.“

Ich muss kurz über diese Abkürzungen nachdenken. Bondage und Disziplin und Dominanz/Submission …

Okay, das bedeutet dann wohl, dass er nicht gerade zur Daumenschraubenfraktion gehört.

„Das klingt wirklich recht human, würde ich so grundsätzlich behaupten … Also, nicht dass ich genau über die Einzelheiten Bescheid wüsste, aber dass du Sado-Masochismus ausklammerst, dürfte die Auswahlmöglichkeiten für dich doch erhöhen.“

„Das stimmt. Allerdings geht es mir nicht nur um Sessions.“

„Sondern?“

Er lacht kehlig. „Ein wenig naiv bist du wohl doch, Kleiner.“ Er seufzt. „Ich suche nicht nur jemanden, den ich disziplinieren oder unterwerfen kann. Aber das soll es zu diesem Thema nun auch gewesen sein.“

Oha, kapiert. Dieses Thema lasse ich dann wohl lieber auf sich beruhen.

„Kein Problem“, erwidere ich. „Tut mir leid, wenn ich zu neugierig bin. Das alles ist so spannend und ich will wirklich gern wissen, woran genau das liegt.“

„Dann werden wir jetzt austrinken und treffen danach Michael und seinen Sklaven im blauen Salon.“

Wow, das klingt super!

Meine Augen müssen leuchten, denn Allens Gesichtsausdruck wird wieder weicher. Möglicherweise gefalle ich ihm ja doch gut genug, damit er mich in diese fremde Welt einführt.

© Nathan Jaeger

Zurück zur Hauptseite 'Meine Bücher' 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen