Leseprobe
Zankäpfel erntet man auch im Herbst
Eine
Kurzgeschichte basierend auf
Zweifel
in Worten
von
Nathan Jaeger
Vorwort
Gabriel, Frank und Sam, das Trio aus
‚Zweifel in Worten‘, gibt sich in dieser Kurzgeschichte die Ehre.
Der Text spielt einige Monate nach dem
Ende des Romans, man muss jenen aber nicht gelesen haben, um diesen Text zu
verstehen.
Viel Spaß damit!
~*~
Frank sah lachend den Waldweg entlang und lehnte sich an den blonden Hünen, bei welchem er sich untergehakt hatte. Kornblumenblaue Augen blitzten ihm belustigt entgegen, als er den Blick zu dem Mann an seiner Seite hob.
„Gabriel,
bist du sicher, dass dir der Kerl nicht irgendwann mal vom Bahnhof aus
nachgelaufen ist?“, fragte er japsend und erntete einen leichten Rempler.
Gemeinsam
wandten sie sich wieder dem Schauspiel vor ihnen zu.
Herbstlaub
in allen Schattierungen zwischen Hellgelb und Tiefrot stob über den Waldweg,
verteilte sich herabregnend, legte sich auf Mantelkrägen und Mützen.
„Sammy,
wenn du nicht aufpasst, wird irgendein Jäger dich wegen ‚Verschreckung von
Wildtieren‘ verhaften lassen!“
Der Mann
mit dem weißblonden Haar unterbrach seinen kickenden Gang durch aufgetürmte
Laubhaufen am Wegesrand und drehte sich um.
„Das
muss so! Diese Blätter schreien doch geradezu danach, dass man sie hochtritt.
Immerhin sind wir im Wald, da muss ein Weg nicht wie gefegt aussehen.“ Sams
Rechtfertigung klang theatralisch-ernsthaft, was seine Verfolger zu erneutem,
gutmütigem Lachen reizte.
Frank
liebte die verrückte Art von Sam ebenso wie die tiefgründige Ernsthaftigkeit
von Gabriel. Beide konnten im Bedarfsfall durchaus auch anders handeln und
reagieren, aber in ihrem Wesen unterschieden sie sich auf eine für ihn
perfekte, ergänzende Art.
Er
liebte beide. Keinen mehr als den anderen, das hatten auch die vergangenen
Monate seit seinem Einzug in die Villa gezeigt.
Alle
Zweifel hatten sich zerstreut, waren weggestreichelt, weggeküsst und aus
tiefster Überzeugung heraus von ihm selbst zunichtegemacht worden.
Eine
Beziehung zu dritt war möglich, das wusste er jetzt ganz genau.
Frank
löste sich von Gabriels Arm, ergriff stattdessen seine Hand und zog ihn mit zum
nächsten Laubhaufen und dem mittendrin stehenden Sam. Auch dessen Hand
schnappte er sich, um mit seinen Stiefeln in einer Art Storchengang durch die
raschelnde, rotbunte Blätterpracht zu staksen.
Gabriel
tat es ihm gleich, reichte Sam seine freie Hand und in einem enger werdenden
Kreis zogen sie sich aneinander, bis Frank sich auf die Zehenspitzten erhob, um
an seine Männer heranzureichen.
Ein Kuss
für jeden, eine innige, warme und beschützende Umarmung, in die er sich
fallenlassen konnte.
Ohne
Gedanken an Ängste oder Unsicherheiten.
Eine
Geste, die alle drei mit wohligem Brummen quittierten.
„Ist
euch eigentlich klar, wie viel Glück wir haben?“, flüsterte Sam und nun war
nichts Albernes oder Überzeichnetes mehr in seinem Ton.
„Ja,
wahnsinniges Glück“, erwiderte Frank ebenso leise und Gabriel schloss sich mit
einem Nicken an.
„Ich
liebe euch“, fügte er hinzu und sowohl Frank als auch Sam küssten ihn dafür auf
die Wangen.
„Ich
euch auch“, kam es stereo aus ihren Mündern.
Diese
verbale Liebesbekundung hatte sich zwischen ihnen eingebürgert. Nur selten
nutzten sie das klassische ‚Ich liebe dich‘, wenn sie ihre Gefühle in Worte
fassten. Ebenso war die Erwiderung zu einem Standard geworden.
Sie
blieben eine Weile mitten in dem vom aufkommenden Wind raschelnden Haufen
Laubes stehen, umschlungen, gewärmt und zusammengehörig.
Ob die
Welt Verständnis für ihre Beziehung hatte, war Frank vollkommen egal. Er selbst
hatte einige Zeit gebraucht, um schlussendlich zu begreifen, wie gut diese
ungewöhnliche Liebe zu dritt funktionierte.
~*~
Wieder
an seinem Jeep angekommen, schüttelte Gabriel letzte Laubreste von Mantel und
Schal, bevor er sich auf den Fahrersitz fallenließ.
Frank
und Sam spielten Stein-Schere-Papier darum, wer den Beifahrersitz ergatterte,
damit auch sie sich wenig später zu ihm in den Wagen setzen konnten.
Das
alberne Lachen beider klang wohlvertraut und so angenehm in Gabriels Ohren,
dass er einen warmen Schauder nicht unterdrücken konnte.
„Ich für
meinen Teil“, bekundete Frank, der den Platz neben ihm gewonnen hatte, „würde
lieber hinten mit Sam kuscheln, weil mir gleich was abfriert.“
Sams
kicherte fröhlich, bevor er auf der hinteren Sitzbank weiter durchrutschte, und
Frank neben ihn glitt.
Gabriel
beobachtete die zwei im Rückspiegel und ertappte sich bei einem leicht debilen
Grinsen, das man ansonsten eher Schwangeren beim gedankenverlorenen Streicheln
ihres Babybauches nachsagte.
„Schnallt
euch an, damit das Kaminfeuer nicht noch länger auf uns warten muss.“
Die
gesamte Fahrt über kreisten Gabriels Gedanken um die vergangenen Monate. Seit
Ende April lebten sie schon zu dritt in der Villa in Steglitz, mittlerweile war
es Ende Oktober.
Noch
immer konnte er es nicht erklären, aber durch die Schnapsidee, eine
Internetannonce aufzugeben, hatten sie Frank gefunden – oder er sie, wie man es
sehen wollte.
Nach
einigem Hin und Her, E-Mails und Telefonaten, hatten sie sich getroffen und im
Laufe weniger Wochen gemerkt, dass nichts jemals wieder so sein würde wie
früher, als er und Sam ein Paar gewesen waren.
Frank
hatte ihnen gegeben, was sie gebraucht, aber zu keinem Zeitpunkt vermisst
hatten. Verrückt, einfach unerklärlich, aber genau deshalb so real in Gabriels
Gefühlswelt verankert.
Er hatte
sich in Frank verliebt, ohne dass seine innige Liebe für Sam darunter gelitten
hatte. Ebenso war es Sam ergangen. Sie beide hatten recht schnell begriffen,
wie wichtig Frank für sie war, doch ebendieser hatte seine Zweifel und Ängste
erst spät überwinden können. Beinahe zu spät …
Aber nun
waren sie hier, zusammen, glücklich. Ein Gefühl, welches Gabriel um keinen
Preis missen wollte.
Doch
nicht nur ihre Beziehung zu dritt war ‚passiert‘, auch andere, sehr negative
Dinge, die innerhalb der Firma und im Freundeskreis für großen Kummer gesorgt
hatten.
Ein
Seufzen entkam ihm, als er an Colin dachte. Mitte Mai verschollen, unauffindbar
bei einem Observationsauftrag verlorengegangen. Sondereinheiten suchten nach
ihm, bis vor kurzem hatte auch sein bester Freund Vittorio nicht aufgeben
wollen.
Niemand
sah sich in der Lage zu glauben, dass er tot war, doch gab es seit dem Fund von
Colins Wagen keine Hinweise mehr zu seinem Verbleib.
Eine
Hand legte sich auf Gabriels rechte Schulter, drückte sacht zu. „Woran denkst
du, Engel?“
Gabriel
schluckte. „Colin.“ Seine Stimme erstickte schon bei diesem einen Wort.
Seufzen
von der Rückbank und ein weiteres Zudrücken an seiner Schulter waren die
Antwort.
Natürlich,
Sam und Frank kannten alle Mitarbeiter, die auch zu Gabriels engerem Kreis
gehörten. Und Colin war der Zwillingsbruder von Sams bester Freundin Teras.
„Vielleicht
werden wir ihn irgendwann finden“, murmelte Sam, doch er klang genauso
frustriert, wie Gabriel sich fühlte.
Hilflosigkeit
konnte erdrückend sein. Was nützte es, die am besten organisierte Detektei
Europas zu besitzen, wenn man einen verschollenen Mitarbeiter und sehr guten
Freund nicht wiederfinden konnte?
„Ihr
wisst, dass das niemandem hilft“, befand Frank in seiner von Logik und
Realismus geprägten Art. Auch wenn es im ersten Moment hart klang, hatte er
recht. „Wir können jetzt alle monatelang in Starre verfallen, aber auch das
wird ihn nicht zurückbringen. Was jetzt zählt, sind die noch Anwesenden. Vito
leidet wie ein Tier unter dem Verlust und Teras ergeht es, hochschwanger, auch
nicht besser. Erik und Luke brauchen Hilfe. Das sind die Dinge, um die wir uns
kümmern sollten, solange die Suchtrupps unterwegs sind.“
„Du hast
recht, Frank“, brachte Gabriel heraus und nickte, als müsse er sich die Worte
in den Kopf schütteln, an die richtigen Stellen rücken.
„Niemand
sagt, dass es leicht wird, aber wir können es für die Genannten leichter
machen. Das liegt besonders in deiner Hand, Engel.“ Eine zweite Hand streifte
Gabriels Nacken, liebkoste die von einer Gänsehaut überzogene Stelle unterhalb
seines Ohres.
Unwillkürlich
lehnte er sich in die Berührung und wollte die Augen schließen. Während der
Fahrt undenkbar.
„Vor
einer Weile hat Teras mir gesagt, wie abartig sie mein Selbstmitleid
fand … Wenn ich nur wüsste, wie wir ihr helfen können!“
„Das
können wir nur, indem wir als Freunde da sind“, fügte Sam hinzu.
Gabriel
bog wenig später in die Einfahrt vor der Villa und betätigte das große
Metalltor, um auf den Hof zu fahren.
Er
schaffte es kaum, aus dem Auto zu steigen, weil Frank und Sam bereits bei ihm
waren, um ihm die Stärke zu geben, die er brauchte.
In
seiner Verantwortung war einer seiner besten Freunde möglicherweise gestorben.
Ja, er kannte das Risiko seit Langem, fürchtete immer wieder um Sam, wenn er
diesen zu einem Auftrag mitnahm oder sendete.
Gabriel erwiderte
die Umarmungen mit einem tiefen Seufzen auf den Lippen.
„Ohne
euch würde ich das nicht aushalten. Auch wenn Teras mir nie die Schuld gegeben
hat, ich selbst gebe sie mir.“
„Wir
sind doch da … Und ich denke immer noch, dass ich eingeweiht werden sollte.“
Franks Worte ließen Gabriel einfrieren, wie das Wasser einer zu lange im
Eisfach liegenden Flasche beim Aufdrehen erstarrte.
„Niemals!“,
zischte er und Sam räusperte sich.
© Gerry Stratmann / Nathan Jaeger / Gay-fusioN GbR
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