Samstag, 6. November 2021

[Leseprobe] Trips Dragon

 Leseprobe

1 Trip

„Musst du noch einkaufen?“, erkundigt sich Claas, einer meiner zwei Mitbewohner bei mir.

Ich sehe von der Zeichnung auf, an der ich gerade sitze, und schüttle den Kopf. „Dieses Wochenende stehen keine Termine mehr an, erst für Dienstag habe ich wieder zwei Tats auf dem Plan“, antworte ich. „Deshalb kann ich die Einkäufe fürs Studio am Montag machen.“

Claas’ Augen weiten sich und er grinst breit. „Dann kannst du ja heute Abend mit uns ins La Donna und anschließend ins Thunderstorm gehen!“

Ich verdrehe die Augen und sehe ihn über meine Brille hinweg an. „Ich kann was?!“

„Du hast mich doch gehört! Glaub ja nicht, dass Henny und ich uns das noch lange angucken!“, droht er.

Henny, das ist Hennes, Claas’ Lebenspartner, im Volksmund auch Ehegatte genannt. Mein zweiter Mitbewohner erscheint auch wie aufs Stichwort neben Claas in der offenen Tür zu meinen Räumen.

„Mein Mann hat recht! Egal, was er grad gesagt hat … außer er hat gepetzt, dass ich dein Rübenkraut vernichtet haben soll, dann hat er gelogen!“

Hennes’ Ton reizt mich zu einem Kopfschütteln. In seiner Hand hält er nämlich ein Butterbrot mit eben jenem Rübenkraut darauf …

„Dann weißt du ja, was du mir gleich beim Einkaufen erbeuten darfst!“, erwidere ich kichernd.

Meine Freunde sind einfach cool, ich liebe beide sehr, weshalb ich ihnen auch fast alles verzeihen kann. Bei der Vernichtung meines Rübenkrauts aber hört der Spaß auf!

„Steht schon auf dem Zettel, keine Sorge“, erklärt Claas. „Ums La Donna kommst du übrigens nicht herum.“

Ich seufze. Meine Freunde haben die dumme Angewohnheit, mich verkuppeln zu wollen, weil sie der Meinung sind, dass ich dringend einen festen Partner in meinem Leben brauche.

Ob ich ihn brauche oder nicht, sei mal dahin gestellt, aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich wirklich gern jemanden an meiner Seite. Immerhin erlebe ich täglich, wie gut das bei Hennes und Claas läuft.

„Wen habt ihr denn diesmal für mich eingeladen?“, frage ich misstrauisch, denn so gut mich meine Freunde auch kennen mögen, meinen Männergeschmack treffen sie eher selten bei diesen Beziehungsanbahnungsdates.

„Einen neuen Arbeitskollegen von mir“, verkündet Claas frei heraus. Er ist Banker, und seine Worte lassen immerhin den Schluss zu, dass mein heutiges Blinddate in einem Anzug schmuck aussehen kann.

Deshalb nicke ich wohlwollend. „Na, dann bin ich ja mal gespannt. Donna und Storm, also?“

Beide nicken.

„Okay, dann sollte ich das hier aber vorher fertigmachen“, sage ich und beuge mich wieder über meinen hell ausgeleuchteten Schreibtisch.

Sie trollen sich und verschwinden wenig später zum Einkaufen. Ich begutachte meinen neuesten Entwurf mit schräggelegtem Kopf und überlege, was noch fehlt.

Es ist ein zukünftiges Tattoo, allerdings habe ich noch keine Ahnung, wer es einmal tragen wird.

Es zeigt einen Drachen, auch wenn ich solche normalerweise überhaupt nicht gern tätowiere. Dieser hier ist etwas Besonderes, er spukt mir schon eine Weile im Kopf herum, und heute hatte ich nach dem Aufstehen endlich den Nerv, mich daranzumachen.

Er muss aus meinen Gedanken raus, damit ich mich wieder voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren kann.

Noch ein kritischer Blick, ja, er hat die drei Dimensionen, die ich bei meinen Freestyle-Bildern bevorzuge, wirkt dadurch echter, als er jemals sein kann.

Ich signiere das Bild und lege es auf die Sammelmappe mit Entwürfen, um mir einen frischen Kaffee zu machen.

Claas, Hennes und ich teilen uns dieses Einfamilienhaus in einer ruhigen Seitenstraße der Stadt. Der Veilchenweg liegt in einem reinen Wohngebiet, weshalb ich schon einige Beschwerden wegen meines Motorrads hatte. Mitten in der Nacht durch die Nachbarschaft zu röhren, kommt eben nicht besonders gut an.

Meine Räume im Haus liegen im ersten Stock, ich habe eine eigene Küche, ein Bad, Schlafzimmer und Wohnzimmer, um mich frei zu entfalten.

Die Küche nutze ich so gut wie nie, wir kochen immer zu dritt unten in der großen Wohnküche, die gleichzeitig auch den Treffpunkt für die Wohngemeinschaft darstellt. Hier oben koche ich nur Kaffee. In meinem Kühlschrank sieht es aus wie bei einem Alkoholiker hinterm Sofa - zig verschiedene harte Drinks, immer mehrere Flaschen meines Lieblingsvodkas, dazu ein Eisfach voller Eiswürfel, sonst nichts.

Ich stehe an der Anrichte, stelle meinen Kaffeebecher unter den Auslass des Vollautomaten und wähle meinen Lieblingskaffee. Groß, stark, schwarz.

Auf dem Rückweg in das Wohnzimmer lasse ich meinen Blick über die Wände des Flures gleiten, und überlege, ob ich hier vielleicht noch Platz für das Drachenbild finde.

Leider reihen sich die Rahmen mit meinen Zeichnungen bereits aneinander, ich müsste also eines ersetzen.

Ob ich mich dazu durchringen kann? Ich werde es sehen.

Am Kaffee schlürfend gehe ich zum Sofa und schalte den Fernseher ein. Ein Blick auf die Bahnhofsuhr an der Wand dahinter zeigt mir, dass meine Freunde bald vom Einkaufen zurückkehren müssten.

Ich habe noch eine ganze Stunde an dem Drachen gezeichnet.

Das Fernsehprogramm an einem Samstagnachmittag ist derart dürftig, dass ich eine DVD einlege, um ein paar Folgen Game of Thrones zu schauen. Auch in der zwanzigsten Wiederholung noch besser als Gerichtssendungen und Reality Shows ...

„Wir sind wieder da!“, brüllt Hennes durch das Haus, als ich mitten in der ersten Folge bin. Ich schalte auf Pause und gehe nach unten.

Im Haus trage ich fast immer sehr bequeme Kleidung. So auch jetzt. Ein Trägershirt, Trainingshosen und Socken, mehr nicht.

In diesem Aufzug kennen meine Mitbewohner mich, aber auch in meiner normalen Kleidung, die Vorzugsweise aus Lederhosen plus Shirts besteht.

„Hallo“, grüße ich, als ich die Wohnküche betrete, in der sich große Einkaufstaschen auf den Stühlen und der Bank tummeln, während zwei Klappkörbe die Tischplatte beanspruchen.

„Wir haben dein Rübenkraut nicht vergessen“, erklärt Hennes eilfertig und deutet vage auf die Sammlung in der Essecke. „Irgendwo da drin ist es.“

Ich grinse und helfe meinen Freunden dabei, alles an seinen angestammten Platz zu bringen.

Die Küche verfügt über eine Abstellkammer mit zahlreichen Regalen, dort lagern Konserven und Getränke. Frische Lebensmittel und Joghurts landen naturgemäß in unserem riesigen Side-by-Side-Kühlschrank, während trockene Lebensmittel wie Nudeln in einem Vorratsschrank untergebracht werden.

Es dauert eine gute Viertelstunde, um alles zu verstauen, dann falten wir die Taschen in einen der Klappkörbe und Claas bringt alles in den Wandschrank neben der Haustür.

„Wir haben beschlossen, dass wir nicht mehr essen, bevor wir losgehen, ist das okay für dich?“, fragt er, als er zurückkehrt.

Ich nicke. „Klar, sonst kriege ich im La Donna ja keinen Bissen mehr runter.“

„Genau mein Reden!“, verkündet Hennes.

Wir blicken zeitgleich zur Uhr. „Wir müssen uns ja auch langsam beeilen, den Tisch haben wir für 19 Uhr.“

„So früh? Dann sollte ich mal duschen gehen …“, sage ich und gehe nach oben.

Das Badezimmer liegt gegenüber meines Schlafzimmers, deshalb muss ich nicht erst groß Klamotten heraussuchen, bevor ich unter die Dusche springe.

Allerdings kann ich das nicht sofort tun, zuerst sollte ich mich, wie ein prüfender Blick und ein entsprechender Griff an meinen Schritt mir verkünden, frisch enthaaren.

Ich stehe absolut nicht auf Körperbehaarung, zumindest nicht an mir oder einem potentiellen Bettpartner, und wenn ich das richtig einstufe, wird es heute Nacht womöglich darauf hinauslaufen, dass ich nicht allein schlafen gehe …

Entsprechend streiche ich über die weichen Stoppeln und hole die Enthaarungscreme aus dem Badschrank.

Während sie einwirkt, rasiere ich mich und putze meine Zähne, anschließend kann ich in die Dusche.

Durch einen Waschlappen unterstützt verschwinden die Haare mitsamt der Creme im Abfluss und ich genieße das frische Gefühl auf der weichen Haut.

Tja, da habe ich wohl ein wenig zu viel an mir herumgespielt, mein bester Freund steht wie eine Eins, und ich beschließe, mir Erleichterung zu verschaffen.

Während ich meine Faust ficke, sehe ich immer wieder das Drachenbild vor meinen geschlossenen Augen, und merke, dass es mich unendlich antörnt. Ich stelle mir vor, dass es derjenige, den ich ficke, auf seinem Rücken trägt, was mein Kopfkino auf absolute Hochtouren bringt.

Es ist, als könnte ich die glatte Haut berühren, dem Muskelspiel darunter zusehen, spüren, wie sich sein Arsch um mich zusammenzieht …

Ich komme mit einem Schrei, der erschreckend laut von den Wänden des Bades widerhallt. Stöhnend sinke ich gegen die gekachelte Rückwand der Duschkabine und schnappe nach Luft.

Hölle und Verdammnis, was war denn das, bitte?!

Durch mein ewiges Singledasein bin ich ja kopfkinotechnisch einiges gewöhnt, aber dieser Orgasmus hat mich echt aus den Socken gehauen.

Mit einem Kopfschütteln und dem fettesten Grinsen aller Zeiten schnappe ich mir, nachdem ich mich gründlich gewaschen habe, meine Flasche mit Babyöl und reibe mich ein. Ich habe nicht die allerbeste Haut für die Menge an Tattoos, die ich trage, sie ist immer trocken und läuft schnell Gefahr, zu jucken. Da man sich aber auch mit vollständig abgeheilten Tätowierungen nicht übermäßig kratzen sollte, muss ich meine noch nasse Haut nach jedem Duschen einölen.

Erst danach trete ich aus der Kabine und trockne mich ab. Natürlich rubbele ich nicht auf meiner Haut herum, sondern tupfe sie eher trocken.

Nackt gehe ich ins Schlafzimmer und suche mir Pants, Socken und Oberbekleidung heraus.

Ich ziehe mich an, bis ich ausgehtauglich bin, kehre ins Bad zurück, um mein dunkelbraunes Haar zu frisieren, was im Klartext bedeutet, dass ich mit Gel meine strubbelige Out-of-Bed-Frisur fabriziere, anschließend räume ich im Schlafzimmer auf und werfe einen prüfenden Blick auf die Bettwäsche.

Die habe ich erst Mittwoch aufgezogen, sollte also auch im Falle nächtlichen Besuchs ausreichend frisch sein.

Jetzt noch die Kontaktlinsen einsetzen, die Boots anziehen, das Jackett mitnehmen und nach unten gehen.

Es ist kurz vor halb sieben, die anderen sollten also auch bald fertig sein, da der Weg zu dem Restaurant, in dem wir heute essen wollen, gute zehn Minuten mit dem Wagen dauert.

„Wow, Trip! Mal gut, dass du mir mit diesem Outfit bei Hennes nicht die Show stehlen kannst …“

Ich grinse. „Dein Mann hat nur Augen für dich, vielleicht solltest du seinem Beispiel folgen, dann würdest du weniger Kerle entdecken, die du unbedingt bei mir abladen willst“, gebe ich zurück.

Ich kann nicht sagen, dass mir Claas’ Versuche, mich an den Mann zu bringen, jederzeit gefallen, aber heute Abend erscheint es mir passend, mal wieder jemand neuen kennenzulernen.

Möglichst sehr intim, denn mein Handjob beim Duschen hat mir klar gezeigt, wie massiv untervögelt ich bin.

Dafür reichten die Typen, die Claas angeschleppt hat, meistens. Eine gemeinsame Nacht, keine Fragen, kein Wiedersehen.

Natürlich stinkt es meinem Freund, dass er diesen Typen oft erklären muss, was für ein Oberarsch ich bin …

Ein diabolisches Grinsen verzieht mein Gesicht.

„Was heckst du wieder aus, hm? Planst du schon, wie du Leo nachher am besten abservierst?“, fragt Claas misstrauisch.

Ich zucke die Schultern. „Dein Problem, wenn es so ist, vielleicht habe ich ja Glück, und du lässt diesen Quatsch irgendwann?“

Hennes kommt lachend in die Küche.

„An dem Tag friert die Hölle zu, Trip!“, bringt er hervor und klopft mir auf die Schulter. „Wahlweise hast du an dem Tag aber auch den Mann fürs Leben gefunden!“

Ich winke ab. „Ich sage es gern noch mal: Ich bin unvermittelbar. So langsam dürftet ihr das verstanden haben … Aber wenn Claas unbedingt den Frischfleischlieferanten spielen will, bitte!“

© Nathan Jaeger

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