Leseprobe
Custom Painting mit Würze
von Gerry
Stratmann
Im Oktober 2012 in ‚Kräutercode‘ – einer Anthologie des
Incubus Verlags – erstmalig erschienen.
Hier jetzt die komplett überarbeitete, längere Version.
Zwischen zusammengepressten Zähnen entlasse ich vorsichtig
den Atem aus meiner Lunge.
Fast hätte ich die Hand verrissen, weil mein Kumpel Jörg
wütend seine Farbpistole durch die Werkstatt pfeffert. Das Motiv, an dem ich
arbeite, wäre damit versaut gewesen.
Genervt ziehe ich den Mundschutz herunter. „Alter, mach hier
nicht so ’ne Welle, ich versuche konzentriert zu arbeiten. Was ist denn los?“
„Musste der Kunde sich unbedingt diese aufwendigen Totenköpfe aussuchen? Samstag früh startet mein Flieger, bis dahin werde ich mit dem Mist niemals fertig!“, schimpft er und blickt frustriert zu mir rüber.
Ich lege die Airbrushgun zur Seite und gehe zu Jörgs
Arbeitsplatz. Mein Kollege, Freund und gleichzeitig Mitinhaber unserer kleinen
Firma für Custom Painting hat recht. Es ist nicht drin, in der Zeit, die ihm
noch zur Verfügung steht, den Tank und die Schutzbleche der Harley
fertigzustellen.
„Die Fender schaffst du locker bis Freitag. Um den Tank
kümmere ich mich ab morgen. Mit den Snakes an der Kawa bin ich so gut wie durch.
Bleiben nur die Motorhauben der beiden Autos. Wie du weißt, sind die Besitzer
zwei Wochen in Urlaub, also können die noch ein paar Tage liegenbleiben. Ich
habe genügend Zeit, deine Arbeit zu übernehmen.“
„Rainer, du hast eine ganz andere Technik als ich. Denkst du,
der Auftraggeber bemerkt den Unterschied nicht?“ Skeptisch schaut er mich an.
„Das glaubst du doch selbst nicht. Die Kunden haben keinen
Blick für solche Kleinigkeiten, wenn sie ihre glänzenden Prachtstücke in
Empfang nehmen.“
Grinsend knuffe ich meinem zweifelnden Freund den Ellenbogen
in die Rippen. „Lassen wir es einfach drauf ankommen.“
„Auf deine Verantwortung. Allerdings war der Typ schon bei
der Auftragserteilung ein richtiges Ekelpaket. Ich fand ihn extrem unfreundlich
und unhöflich. Weißt du noch, wie der sich angestellt hat? Wir sollen sein Baby
bloß gut behandeln und keinen Kratzer hinterlassen!“
Oh ja! Seufzend erinnere ich mich an den Kerl.
Mir wäre fast die Kinnlade auf den Arbeitstisch geknallt,
als er durch die schmale Werkstatttür herein kam.
Ich bin nicht gerade klein geraten, aber dieser Mann
überragte mich um gute zehn Zentimeter. Breite Schultern, schmale Hüften, dazu
ein herrisches Auftreten. Für sein Alter, ich schätzte ihn auf Mitte bis Ende
dreißig, sah er verdammt geil aus.
Allein der Gedanke an den knackigen Hintern in der engen Lederhose
bringt mein Blut erneut in Wallung. Energisch dränge ich die viel zu lebhaften
Bilder beiseite.
Ehe ich den Rückweg antrete, werfe ich Jörg einen strengen
Blick zu.
„Falls durch deinen Wutausbruch die Spritzpistole im Arsch
ist, zahlst du das aus eigener Tasche. Als Versicherungsschaden lasse ich das
jedenfalls nicht gelten.“
„Geizkragen“, murmelt er sich in den Bart, was mir ein
belustigtes Kichern entlockt.
Widerwillig widme ich mich den abschließenden Arbeiten am
Tank der Kawasaki.
Deren giftgrüne Originalfarbe bildet auf Wunsch des Kunden
weiterhin den Untergrund. Inzwischen habe ich ein Wirrwarr miteinander
verwobener Schlangenkörper darüber gesprayt. Die Biester schillern in allen
Farben des Regenbogens.
Jeder Farbwechsel hat mich Überwindung gekostet, den mein
Körper zusätzlich mit angewidertem Schütteln begleitete. Wie kann man das
Aussehen dieser schönen Maschine nur so verschandeln?
Mit Engelszungen habe ich auf den Besitzer eingeredet, aber er
ließ sich einfach nicht davon überzeugen, dass es für diese Karre erheblich geschmackvollere
und passendere Motive gibt.
Na ja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und ich muss
mit dem Teil schließlich nicht auf die Straße.
~*~
Vor knapp zwei Jahren haben mein bester Freund Jörg und ich
uns selbstständig gemacht. Seitdem war ich schon häufig gezwungen, grauenvolle
Kundenwünsche zu erfüllen. Man sollte meinen, ich hätte mich inzwischen damit
abgefunden. Leider ist das nicht der Fall.
Bei Autos lässt es mich verhältnismäßig kalt, aber wenn ich
Motorräder so verunstalten muss, geht mir das gehörig gegen den Strich.
Ich liebe Motorräder! Sie sind meine große Leidenschaft.
Dazu kommen meine künstlerische Ader und die nicht enden wollende Fantasie, wie
man die heißen Teile optisch aufmotzen kann. Sobald ich Fahrer und Zweirad
zusammen sehe, sprudeln die Ideen hervor wie aus einem Geysir.
Zu meinem Leidwesen kommen die meisten Kunden mit bestimmten
Vorstellungen und lassen sich nur schwer wieder davon abbringen. So wie der
Fahrer der Kawasaki.
Unsere Firma ist finanziell noch nicht so gut gestellt, dass
Jörg oder ich es uns leisten können, bestimmte Aufträge abzulehnen.
Hoffentlich spricht sich weiter herum, dass wir Qualität zu
annehmbaren Preisen liefern, dann bin ich bald nicht mehr gezwungen, gegen
meine Überzeugung zu handeln.
Endlich sind die letzten Farbhighlights gesetzt, und ich
betrachte mein Werk von allen Seiten. Obwohl ich bei dem Motiv immer noch
kotzen möchte, ist mir die Arbeit sehr gut gelungen.
Jetzt muss noch der schlag- und kratzfeste Lack aufgesprayt
werden. Über Nacht wird die Versiegelung ausreichend trocknen, damit ich die
Maschine wieder zusammenbauen kann.
Ich gehe ins Büro, um mit dem Kunden telefonisch einen
Abholtermin zu vereinbaren. Bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen kann,
kommt ein Anruf herein.
„Metallic
Paint, Rainer am Apparat.“
„Marcel hier. Ich will wissen, wann meine Harley fertig ist.“
Boah, der hat vielleicht einen herrischen Ton am Leib.
Arschloch! Geht es vielleicht noch arroganter?
Meine Finger schließen sich vor Wut fest um den Hörer. Das
Plastikmaterial knirscht und knackt protestierend unter der brutalen
Behandlung.
„Vor Montag wird das nichts. Du hast dir ein extrem
aufwendiges Motiv ausgesucht, das erfordert Präzisionsarbeit. Wenn du mit hingerotzter
Arbeit zufrieden bist, musst du dir eine andere Firma suchen.“
Mir ist absolut klar, dass ich mich gerade nicht
kundenfreundlich verhalte, aber dieser Kerl geht mir gehörig auf die Eier. Kann
er nicht höflicher fragen?
„He Mann, fürs Wochenende habe ich eine Tour geplant, dafür
brauche ich mein Baby! Wenn ihr nicht in der Lage seid, anständig und schnell
zu arbeiten, stellt mir gefälligst eine andere Karre zur Verfügung!“
Der ist wohl nicht ganz frisch in der Birne!
„Ich betreibe hier keine Verleihfirma! Wir rufen an, wenn deine
Maschine fertig ist!“
Mit laut gebrülltem „Fuck!“ knalle ich den Hörer auf.
„Oh, war das Mister Macho, den du so angeblafft hast?“, ruft
Jörg aus der Werkstatt rüber.
Sein Gesicht muss ich gar nicht sehen, das fette Grinsen
trieft aus jedem Wort.
Wütend stapfe ich um den Schreibtisch herum und lasse mich
in den alten, quietschenden Drehstuhl fallen.
„Dieser Wichser verlangt fürs Wochenende eine Leihmaschine,
damit er sich on the Road vergnügen kann. Was denkt der, wer wir sind? Blöder
Idiot! Arrogantes, eingebildetes Arschloch! Der kann mich mal!“ Mit jedem Wort
werde ich lauter, schreie am Ende fast.
Ich streiche mir fahrig durch die Haare, zwinge mich, tief
durchzuatmen.
Warum bringt mich dieser Kerl nur so aus der Fassung? Ich
neige nicht zu solchen Temperamentsausbrüchen. Jörg ist eher der aufbrausende
Teil unseres Gespanns.
Mein Kompagnon, dieser hinterhältige Sack, hat sich leise
herangeschlichen.
Lässig gegen die Türzarge gelehnt, die Hände vor der Brust
verschränkt, verpasst er mir feixend eine Breitseite.
„Rain kann es sein, dass dir der Typ unter die Haut geht?“
Gleich drehe ich ihm den Hals um! Hoffentlich erstickt er an
seinem dämlichen Kichern. Der Mistkerl weiß genau, dass ich es wie die Pest
hasse, wenn er meinen Namen so verunstaltet.
„Vom Aussehen passt er genau in dein Beuteschema. Allerdings
bezweifle ich stark, dass Mister Macho sich dominieren lässt. Vorausgesetzt er
ist überhaupt schwul.“ Lachend klopft sich Jörg, zur Krönung seiner Rede, auf
die Schenkel.
„Hast du nichts Besseres zu tun, als mich zu verarschen? Ab
an deine Fender oder dein Urlaub ist gestrichen“, fauche ich.
Lachend trollt er sich. Er kennt mich und weiß, dass mein
Spruch nicht ernst gemeint ist.
Ich bleibe noch einen Moment sitzen und sortiere meine
Gedanken.
Wenn ich ehrlich zu mir bin, muss ich mir eingestehen, dass
mein Freund den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Allerdings werde ich den
Teufel tun, das laut auszusprechen.
Rein optisch ist Marcel wirklich genau meine Kragenweite,
abgesehen von seiner Arroganz. Ich ziehe die sanften, anschmiegsamen Jungs vor.
Nebenbei ist der Kerl auch viel zu alt. Schließlich bin ich gerade erst
fünfundzwanzig geworden.
Der Mann hat mich nur so beeindruckt, weil ich schon ewig
keinen Sex mehr hatte, rede ich mir zur Beruhigung ein.
Seit Jörg und ich die Firma gegründet haben, besteht mein Leben
nur noch aus Arbeit. Hocke ich nicht in der Werkstatt, kümmere ich mich um den
Bürokram.
Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal auf der
Piste war, um einen willigen Partner zu finden.
Das muss ich noch heute ändern. Es wäre mehr als peinlich,
wenn ich wegen dieses Wichsers beim nächsten Zusammentreffen anfange zu
sabbern.
Ein kurzer Blick zur Uhr zeigt, dass es fast siebzehn Uhr ist.
Jetzt aber flott an die Arbeit, damit ich zeitig nach Hause komme.
Ich bin fast an der Tür, als mir einfällt, dass ich den Besitzer
des Schlangenmonsters noch anrufen muss.
Wir vereinbaren einen Termin für morgen Nachmittag,
anschließend mache ich mich endgültig an die Lackierung der Kawa.
Beiläufig setze ich Jörg davon in Kenntnis, dass ich heute nicht
bis in die Puppen in der Werkstatt bleiben will, da ich noch etwas vorhabe.
Kurz wendet er sich mit wissendem Grinsen zu mir um, was ich
geflissentlich übersehe.
„Super! Dann kann ich schon einige Urlaubsvorbereitungen
treffen.“
Ich nicke zustimmend und drücke auf den Knopf der
Sprühpistole.
Es wird trotzdem fast zwanzig Uhr, ehe ich die Werkstatt
abschließe.
Wir haben die Abschlussbesprechung wichtiger firmeninterner
Dinge vorgezogen. Dadurch kann Jörg sich morgen voll auf die Arbeit konzentrieren.
Sobald die Fender fertig sind, will er verschwinden. Sein
Flug geht Samstag in aller Frühe und mir ist klar, dass er vorher zuhause noch
eine Menge zu tun hat.
Seit über zwei Jahren hat keiner von uns mehr richtig Urlaub
gemacht. Höchstens ein verlängertes Wochenende, wenn die Nerven einfach nicht
mehr mitspielen wollten. Daher gönne ich ihm die 14-tägige Auszeit von Herzen.
Sollten keine ernstzunehmenden geschäftlichen Schwierigkeiten
auftreten, werde ich im Winter zum Skilaufen fahren, um selbst etwas zu
entspannen.
~*~
Zuhause angekommen falle ich wie ein hungriger Wolf über meinen
Gefrierschrank her.
Mist! Darin befindet sich nur noch Fertigfutter. All meine selbst
gekochten Mahlzeiten sind aufgebraucht.
Notgedrungen entscheide ich mich für ein indisches
Hähnchen-Curry.
Zähneknirschend fülle ich den Packungsinhalt auf einen
Teller und schiebe ihn in die Mikrowelle.
Bis das Zeug heiß ist, habe ich Zeit, im Schlafzimmer abzutauchen
und mich ausgehfein zu machen.
Obwohl es für meine Verhältnisse schon recht spät ist, halte
ich an dem Vorhaben fest, auf Tour zu gehen.
Der Gedanke an schnellen, unverbindlichen Sex lässt mich
nicht mehr los, und ohne Druckabbau finde ich keine Ruhe. Handbetrieb wird mir
heute allerdings nicht die gewünschte Entspannung liefern.
Nur gut, dass ich einige Lokale kenne, in denen sich auch an
Wochentagen willige Partner finden lassen.
Geduscht habe ich in der Firma, aber rasieren muss ich mich
noch. Ein Blick in den Spiegel und ein prüfender Handstrich über die Intimzone
zeigen, dass eine Ganzkörperrasur angesagt ist.
Verdammt! Wenn ich es schon mal eilig habe. Aber so
ungepflegt mische ich mich nicht unters Volk.
Was bleibt mir also übrig? Einschäumen, rasieren, danach
noch mal unter die Dusche, um die restlichen Spuren abzuwaschen.
Ich bin stolz auf meine Geschwindigkeit. Pünktlich zum
dezenten Klingeln der Mikrowelle werfe ich die nassen Handtücher in den
Wäschekorb.
Nackt haste ich in die Küche und probiere das Curry.
Pfui Teufel! Das Zeug ist völlig geschmacklos. So kriege ich
das nicht durch den Hals.
Rasch durchsuche ich das Gemüsefach des Kühlschrankes und
finde zu meiner großen Freude noch eine Ingwerwurzel.
Unter Zuhilfenahme einer feinen Reibe verteile ich eine hauchdünne
Schicht über meinem Essen. Jetzt ist das Futter wenigstens halbwegs genießbar.
Ich liebe Ingwer! Damit kann man jede Speise aufpeppen oder
ihr einen besonderen Touch verpassen. Daher habe ich fast immer eine frische
Wurzel im Haus.
Am Samstag ist auf jeden Fall ein Großeinkauf fällig.
Zwar stehe ich dann den ganzen Sonntag in der Küche, aber mein
Gefrierschrank wird wieder mit eigenen Kreationen gefüllt sein.
Kochen ist neben Motorrädern meine zweite große Leidenschaft.
Auf Fertiggerichte greife ich nur im Notfall zurück. Manchmal
bleibt mir jedoch nichts anderes übrig.
Oft komme ich einfach zu spät aus dem Betrieb, da fehlt mir
dann die Zeit, mich in die Küche zu stellen, um etwas Frisches zuzubereiten.
© Gerry Stratmann / Nathan Jaeger / Gay-fusioN GbR
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