Freitag, 5. November 2021

[Leseprobe] Zweifel in Worten

 Leseprobe

Alberne Annoncen

 

Frank sah von dem Bücherstapel auf, der vor ihm auf seinem Arbeitsschreibtisch lag. Neuzugänge für die Stadtbibliothek. Ihm als Lektor oblag es, die Texte zu sichten und zu entscheiden, ob sie in die Kataloge der öffentlichen Bücherei übernommen werden sollten.

Eine schöne Arbeit, die ihm wirklich viel Spaß machte. Außerdem ersparte sie ihm nennenswerten Kundenumgang, den er seit seinem Umzug nach Berlin eindeutig vermied.

Er klappte das Oberste auf und begann die Angaben des Impressums zu studieren, schloss es wieder und sah auf die Rückseite des Einbands. Der Klappentext las sich schon mal gut, dennoch stutzte er. In den neun Monaten, die er nun schon hier arbeitete, war noch nie ein neuer Roman mit homosexuellen Hauptcharakteren hier eingetrudelt. Dieser hier war aber anscheinend einer. Ein schwuler Roman, dem Klappentext nach ein Drama.

Neugierig geworden sah er nun wieder hinein und überflog die ersten Seiten. Spannend!

Er wusste, er hatte freie Hand, was die Einbindung von neuen Büchern in die Bibliothek anging, dennoch wollte er dieses erst komplett lesen. Oftmals gab es erotische, zumeist sehr explizit beschriebene Sexszenen, was in diesem Fall bedeuten würde, dass es zwar letztlich im Katalog landen könnte, aber nur mit eindeutigem Altersnachweis und an über Achtzehnjährige ausgeliehen werden durfte. Eben streng nach Jugendschutzgesetz.

Er beschriftete einen Klebezettel mit ‚komplett lesen, evtl. Ü18‘ und heftete ihn auf den Einband, danach schob er das Buch beiseite und widmete sich wieder dem Stapel.

Der Tag ging dahin mit Leseproben, Katalogisierung, Altersempfehlungen und der Weiterleitung der Bücher an seine Kollegin, die sie für die zukünftige Ausleihe vorbereiten würde.

Gegen 14 Uhr verließ er die Bibliothek durch die hellen, lichtdurchfluteten Lesehallen und verabschiedete sich am Eingang bei den Kolleginnen und Kollegen. Da er selbst nicht oder nur bei absolutem Personalengpass hier an der Ausgabe, Information oder Rückgabe saß, hatte er andere Arbeitszeiten. Und wenn er wie heute ein Buch zwecks Durchsicht mit nach Hause nahm, konnte er oftmals auch früher in den Feierabend gehen. Immerhin würde er den heutigen Tag damit verbringen, für seine Arbeit ein über 400 Seiten starkes Buch zu lesen. Niemand fragte ihn danach, wieso er das lieber zu Hause tat, den meisten war es wohl klar, dass man gerade belletristische Texte viel besser in einer gemütlichen Atmosphäre lesen und beurteilen konnte.

Frank schulterte seine Umhängetasche und ging zur U-Bahn-Station.

Zu Hause angekommen startete er zuerst seinen PC, überprüfte gewohnheitsmäßig sein Emailpostfach und fragte sich wie immer, wieso er das noch tat. Mit seinem Umzug, na ja, wohl eher seiner Flucht, hatte er sämtliche alten Kontakte abgebrochen. Sogar seine Handynummer gewechselt. Sein altes Leben lag weit hinter ihm, auch wenn es ihn immer wieder in Alpträumen heimsuchte.

Es kam tatsächlich eine Mail an. Auf einer einzigen Seite für Gays war er mit einem neuen Nicknamen angemeldet und von dort hatte er einen Newsletter erhalten. In diesem stand etwas von einer neuen Aktion, bei der sich einzelne User oder Paare vorstellen konnten, um neue Kontakte zu knüpfen.

Vielleicht sollte er sich nach seiner langen Abstinenz doch mal wieder was zum Vögeln suchen? Irgendwie widerstrebte ihm der Gedanke. Auch wenn er seine alten Kontakte allesamt im realen Leben, in Clubs und Diskotheken, aber auch in sehr einschlägigen Parks gefunden hatte, bot das Internet vielleicht doch eine Chance, brauchbare Sexpartner zu finden. Na ja, ein genauerer Blick auf die diversen Angebote konnte jedenfalls nicht schaden, würde ihn vielleicht sogar wieder klarer auf den Pfad der Enthaltsamkeit bringen.

Er rief die Seite der Community auf, loggte ein und überflog die Annoncen. Langweilig, nichtssagend, grammatikalisch unerträglich ...

Ja, es war schon ein Kreuz, nach abgeschlossenem Germanistik- und Literaturwissenschaftsstudium im Internet mit den schriftlichen Auswürfen seiner Artgenossen konfrontiert zu werden ... Oft genug erwischte er sich dabei, selbst die gesprochenen Worte seiner Umgebung im Kopf korrigieren zu wollen. Vielleicht war diese Arroganz auch nicht hilfreich, wenn er nur ein wenig unverbindlichen Spaß suchte?

Aber wenn Frank dem Sprichwort ‚dumm fickt gut‘ Glauben schenken wollte, müsste er sich eingestehen, dass er eine Niete im Bett war ...

Er grinste breit. Das war er ganz sicher nicht. Er wusste, wie gut er aussah, wie sehr andere auf seinen schlanken, nur fein bemuskelten Körper abfuhren und auch auf sein Lächeln und seine leuchtend grünen Augen, die durch sein dunkles Haar nur noch betont wurden.

Aber wenigstens die tarnte er seit seinem Umzug. Er trug schon immer eine Brille, aber mit dem Weggang aus Köln hatte er sich Kontaktlinsen besorgt. Braun getönte, die aus seinen offenbar sehr attraktiven Augenaufschlägen die nichtssagenden eines Durchschnittstypen gemacht hatten.

Er fühlte sich wohl damit. Es hatte etwas von Undercover und Inkognito, das er als beruhigend empfand.

Frank seufzte. In diesem Wust an Inseraten würde er gar nichts finden, zumindest nichts Brauchbares. Deshalb benutzte er die Suchfunktion und gab an, was er in den Anzeigen zu finden hoffte. Einzelperson oder Paar ließ er offen, als Alter nahm er die Gruppe zwischen 25 und 30, außerdem gab er an, dass er, wenn es nur um Sex gehen sollte, unverbindlich und geschützt bevorzugte. Die Suche spuckte noch immer recht viele Annoncen aus.

Er blätterte sich durch die Angebote und stoppte abrupt ab, als er einen sehr langen Text fand. Entgegen den meisten anderen Annoncen gab es hier ganze Sätze, keinerlei Abkürzungen und eine direkte Anrede – zumindest in der kleinen Vorschau.

Er klickte die Detailansicht an und sah sich den Text genauer an.

Der Annoncierende war ein User namens ‚Erzengel-Sam‘ und Frank kicherte. Wie albern ...

Egal, diese Anzeige hatte etwas. Oben unter dem Usernamen standen noch ein paar Eckdaten zur Zielgruppe der Annonce.

Alter: 20-30

Beziehungsstatus: Single

Mehr hatte der Erzengel nicht angegeben, aber vermutlich reichte das auch, wenn man den darunter stehenden Inseratstext ansah. Und immerhin erfüllte Frank beide Kriterien.

Hallo Du,

Ja, genau, hinter Dir steht vermutlich niemand, also kannst nur Du gemeint sein! ;)

Vorweg, dies hier ist der Partneraccount von Gabriel und Sam. Wenn also im Folgenden von ‚wir‘ die Rede sein sollte, weißt Du immerhin schon mal, wie wir heißen.

Aber nun streng Deine Fantasie an und stell Dir vor, du wärest auf einer paradiesischen Insel im Südpazifik, vielleicht Französisch-Polynesien ... Du weißt schon, eines dieser Superluxus-Urlaubsziele, zu denen man mehr als zwanzig Stunden lang fliegt, um am Ende in einer Blockhütte über dem Wasser zu wohnen.

Perfektes, sonniges Klima, Palmen, schneeweißer, feiner Sandstrand und Meeresrauschen. Du liegst in einer Hängematte unter einer Palme und genießt die Natur, aber irgendetwas fehlt ... Der Cocktail, den Du Dir gegönnt hast, ist längst leer und noch bist Du zu träge, um zu deinem Blockhaus auf Stelzen zurückzukehren.

Dir ist heiß und Du brauchst entweder eine Abkühlung im lauwarmen Tropenwasser oder ein noch heißeres Date ... Du überlegst, was davon Dir gerade lieber wäre ...

Bis du das Pärchen siehst, das näher am Wasser auf einer Decke liegt. Die beiden stammen aus der gleichen Ferienanlage wie Du, sie knutschen wild und Du bist Dir sicher, wenn Du ihnen nicht bald sagst, dass Du auch noch hier bist, fallen sie vor Deinen Augen übereinander her. Sie haben Dich noch nicht bemerkt, deshalb beschließt Du, zu ihnen zu gehen und allen ein paar Peinlichkeiten zu ersparen.

Du grüßt die beiden freundlich, wahrst aber einen gewissen Abstand. Immerhin willst Du nicht stören ...

Sie halten mit ihrem heißen Treiben inne und mustern Dich. Dir wird klar, dass die zwei ziemlich tageslichttauglich sind und Dich anlächeln.

Einer von ihnen fragt Dich: „Hey, hast du Lust, mitzumachen?“

Du antwortest: ???

Schreib uns Deine Antwort und sei weise. ;)

Grüße vom Erzengel und Sam

 Frank lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. Was sollte denn so eine Anzeige?

Wahrscheinlich hielt allein die Tatsache, dass der Text nicht voller Fehler und deutlich länger war, die meisten davon ab, darauf zu antworten.

Außerdem fehlten diverse Angaben zu dem Pärchen. Frank vermutete, dass die Mehrzahl der User lieber genauer Bescheid wüsste, bevor sie antwortete. Oberflächlichkeiten waren immer ein Thema, besonders bei schwulen Männern, die auf der Suche nach Sex waren.

Er überlegte, ob er so etwas wirklich noch einmal wollte, speicherte die Annonce in einer Merkliste, die praktischerweise angeboten wurde, und loggte aus.

Darüber musste er erst noch einmal gründlich nachdenken!

Er machte sich etwas zu essen. Auch wenn er für sich allein kochen musste, tat er es gern. Niemand redete ihm hinein, niemand mäkelte über Zutaten, die Frank liebte, alles war prima. Schließlich hatte er sich nach dem Abi immer selbst versorgt. Um genau zu sein, konnte Frank sich vieles vorstellen, aber nicht, dass er sein eigenes Reich plötzlich mit jemandem teilen musste oder auf jemanden über Gebühr Rücksicht zu nehmen hatte.

Er war gern Single. Nicht zuletzt, weil er noch nie so richtig verliebt gewesen war. Wenn man ihn danach fragte, manche Arbeitskolleginnen taten das zwischenzeitlich, sagte er immer nur, dass er Liebe für einen fiesen Trick der Natur hielt. Körperchemie zu Reproduktionszwecken.

Er hatte immer gewusst, dass er sich nicht vermehren würde. Frauen hatten ihn noch nie angetörnt. Meistens nicht einmal einen zweiten Blick bei ihm provoziert. Es gab eben nichts an weiblichen Körpern, das ihn nennenswert reizen konnte.

Ein Männerkörper dagegen, konnte seinen Hormonhaushalt schon enorm auf Trab bringen! Muskeln, harte Körper, lange Beine, knackige Hintern, Bartschatten, das waren Dinge, die er bemerkte. Und tiefe Blicke konnten ihn erst dann für sich einnehmen, wenn sie voller Gier und Verlangen auf ihm ruhten. Lippen waren auch so eine Sache ... Egal ob voll oder nicht, der Gegensatz von maskulinen Gesichtszügen und zärtlichen Küssen auf seiner Haut, war pures Dynamit für ihn.

Küsse auf den Mund dagegen ... nein, das kam bei ihm nicht vor. Mit sechzehn hatte er einmal einen Jungen aus der Parallelklasse geküsst. Zu Testzwecken, quasi. Aber da es eben nicht mehr gewesen war, hatte sich der Knutschversuch als ausgesprochen nichtssagend erwiesen.

Und seitdem er achtzehn war, hatte er so ziemlich alles mal ausprobiert – abgesehen von einer Sache ...

Frank wusste nicht, ob er jemals so was wie einen Mister Right treffen würde, aber falls es so war, würde ebendieser der erste Mann sein, der ihn vögeln durfte.

Er schob den Teller von sich und seufzte. Vergebene Mühe. Der Grund für seine Flucht aus Köln hatte diese bewusste Enthaltsamkeit in Sachen Penetration zunichtegemacht.

Tja, daran gab’s kein Rütteln. Jemand hatte ihm gewaltsam etwas genommen, das er nur freiwillig und nur einem ganz bestimmten Traumtypen hatte geben wollen.

Frank schnaubte abfällig. Wahrscheinlich war das sowieso total albern, besonders, weil er ja eh nicht damit rechnete, so jemanden mal kennenzulernen.

Wie auch? Wenn er sich nur noch auf dieser einen Gayseite herumtrieb und ansonsten alle Treffpunkte für Schwule mied wie der Teufel das Weihwasser?

Nein, heutzutage war das alles egal. Schlichtweg hinfällig.

 

~*~

 

Gabriel sah von seinen Unterlagen auf, als Sam in sein Büro stürmte. Er lächelte. Sein Freund war einfach ein gigantischer Wirbelwind, dem beinahe nichts schnell genug gehen konnte ...

„Was für eine Tarantel verfolgt dich denn?“, fragte er und grinste breiter.

„Unsere Annonce hat über hundert Aufrufe, aber keiner schreibt“, maulte Sam und klang geknickt. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, einen richtigen Text zu schreiben?“

„Hm, sie ist doch erst seit zwei Tagen online. Erwartest du Wunder?“

„Keine Ahnung, anscheinend! Aber wenn ich mir angucke, wie viele Hits diese Anzeigen mit Schwanzlängenangaben und Fotos haben ... Das geht in die tausende … Echt, ich glaube, wir haben schlechte Karten ...“

„Sieh es doch mal so: Wer sich die Zeit nimmt, unsere Annonce zu lesen, wird erstens nicht der hinterletzte Trottel sein und zweitens einen gewissen Anspruch an sich selbst haben ...“

Sam starrte ihn verwundert an und lachte. „Du denkst, der Text schreckt die Vollpfosten ab?“

„Ja, ganz offensichtlich!“ Gabriel streckte die Hand nach Sams Gesicht aus und strich über dessen leicht kratzige Wange. „Hmm, ich mag es, wenn du zu faul zum Rasieren bist, Sammy. Und bevor du noch nervöser wirst: Vielleicht sollten wir die Sache vergessen?“

Sam lehnte seine Wange in Gabriels Hand und schloss die Augen. „Ich liebe dich, aber manchmal geht deine Vernunft mir auf den Keks, mein Engel.“

Gabriel lachte. „Kriege ich heute noch einen Kuss? Und hast du Helmi schon gefragt, wann es heute etwas zu essen gibt?“

„Ja und ja.“

Gabriel vertiefte den Kuss nahezu sofort und zog Sam auf seinen Schoß. „Hmm, du warst wieder am Pudding ... irgendwann wird Helmi dich deshalb mit einem Kochlöffel verhauen, ist dir das klar?“

Sam nahm Abstand und sah ihn an. „Klar, am gleichen Tag, an dem sie hier kündigt ...“

Das stimmte vermutlich, Helmi gehörte so sehr zu diesem Haus wie niemand sonst. Sie würde nie kündigen und Sam auch niemals ernsthaft böse werden, weil er naschte.

„Also? Willst du die Anzeige ändern oder rausnehmen?“, hakte Gabriel noch einmal nach.

„Nein, ich denke, zwei Wochen geben wir der Sache noch, dann ist dieses Experiment offiziell gescheitert ...“ Sam schlang seine Arme um ihn und küsste ihn erneut. „Vielleicht ist es mir auch viel lieber, dass ich dich nicht teilen muss.“

Gabriel nickte. Das mit dem Teilen war sowieso so eine Sache. Im Grunde wussten sie beide, dass sie sich liebten und das ja auch nicht erst seit gestern, sondern immerhin schon seit sieben Jahren!

„Du musst doch sowieso nicht, Sammy. Wie du dich sicherlich erinnern wirst, hast du dir diesen Floh ins Ohr setzen lassen, nicht ich.“

Zu Anfang hatte die Idee eines guten Freundes aus New York für Sam und ihn wirklich seltsam geklungen. Immerhin waren sie lange Jahre zusammen und sahen überhaupt keine Notwendigkeit, mehr ‚Pepp‘ in ihre Beziehung zu bringen, aber bei längerem darüber Nachdenken entstand am Ende die Überlegung, eine Art Testballon zu starten und einfach abzuwarten. Jeromé hatte ihnen erzählt, dass man so am schnellsten herausfand, wie die Mitglieder einer Gay-Community tickten. Man schrieb eine Annonce, die gegen jeglichen Mainstream lief und wartete ab. Mit etwas Glück fand man auf diese Art neue Kontakte, vielleicht Freunde, die über die allgemein auf den Online-Plattformen vorherrschende Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit hinausging.

Nun aber zeigte sich wohl doch, dass Sams angeborene Neugier einen enormen Reiz auf ihn ausübte und er tatsächlich mit dem Gedanken spielte, mehr als nur neue Freunde zu finden.

„Du sagst das, als hätte ich es allein entschieden ...“ Sams betroffene Miene ließ Gabriel schlucken und lächeln.

„He, schon vergessen? Wir tragen alle Entscheidungen zusammen. Und du weißt, dass der Reiz des Neuen mich auch längst gepackt hat. Also, gesetzt den Fall, derjenige, der sich meldet, entspricht dem, was wir uns vorstellen.“

„Hm, ich grüble schon die ganze Zeit, was ich mir vorstelle ... vielleicht zur Abwechslung mal etwas Rothaariges?“ Sam lachte und küsste Gabriel.

„Nein, dann lieber dunkle Haare. Und welche Augenfarbe?“, alberte Gabriel mit. Er wusste, dass auch Sam das alles nicht allzu ernst nahm.

„Hm, vielleicht ... grün? Ich finde grüne Augen voll sexy!“

„Oh, na danke ...! Sind dir meine blauen also nicht mehr schön genug?“

„Deine Augen sind der Wahnsinn, Engel, das weißt du sehr genau! Aber denk mal an so richtig feurige grüne und sag mir, dass sie auf dich nicht sexy wirken ...“

„Hm, also mir gefallen die himmelblauen, die mich grade ansehen, als wäre ich eine besonders appetitliche Vorspeise ...“ Gabriel knurrte leise und ließ seine Hand verlangend in Sams Nacken gleiten, um ihn dicht an sich zu ziehen.

„Vorspeise?“, flüsterte Sam gegen seine Lippen und übernahm die Initiative auf so fordernde Weise, dass Gabriel sich stöhnend ergab.

 

~*~

 

Sam starrte schon wieder auf die Annonce, die er und Gabriel aufgegeben hatten, überlegte, wie ratsam das Ganze wohl war und vor allem auch, welche Auswirkungen es haben könnte, wenn sie tatsächlich jemanden fänden, mit dem sie einmaligen Spaß oder vielleicht sogar eine Affäre anfangen könnten.

Immerhin wollten sie den oder die sich meldenden Typen ja vorher kennenlernen. Per Email zunächst und dann mal weitersehen.

Sein Erzengel und er hatten zwar schon so einige Eventualitäten durchgesponnen, aber alles blieb so hypothetisch!

Und genau das gefiel ihm gar nicht. Er wollte gern alles und sofort. Wieso verflucht noch mal meldete sich denn nicht einfach mal einer, damit sie es testen konnten? Immerhin waren die zwei Wochen beinahe um!

Inzwischen waren wirklich genug Bekloppte in ihre Mailbox getappt, um mit unschönen Umschreibungen und wirklich plattem Sex in gruseliger Ausdrucksweise und Rechtschreibung von ihren Schwänzen und diversen Löchern zu schreiben, die sie zu stopfen gedachten. Absolut nicht passend.

Also wartete er auf einen, der es ernst meinte ...

Morgen würde die Anzeige noch online stehen, danach nicht mehr. Aber noch war Sam einfach nicht bereit, das Experiment für gescheitert zu erklären.

Aufgeben war einfach keine Option für ihn. Noch nie. Wie hätte er sich sonst vor so vielen Jahren Gabriel, seinen Boss!, schnappen sollen?

Er hypnotisierte die Profilseite in der Gay-Community und aktualisierte wieder und wieder.

Irgendwann musste sich doch mal was tun!

Er seufzte tief und aktualisierte ein letztes Mal. Blinzelnd sah er, dass tatsächlich endlich eine Nachricht angekommen war. Er rief sie auf und brüllte zeitgleich nach seinem Liebsten. „Gabriel! Wir haben endlich eine vernünftige Antwort!“

Gabriel erschien hinter ihm, setzte sich in einen Sessel in der Nähe und sagte: „Na, dann lass mal hören.“

„Okay, also Absender: Frank’nFurter_26. Betreff: Palmenstrand und Sonnenbrand?“, berichtete Sam und lehnte sich zurück, während er den Rest der Nachricht vorlas und Gabriel eine Hand hinstreckte, die dieser sofort ergriff und liebevoll streichelte.

Hallo Ihr,

Meine Antwort an Euch wäre, dass ich nicht mit fremden Männern reden darf, weil meine Mami mir das immer verboten hat. Auch wenn das mittlerweile über 20 Jahre her ist, gelten bestimmte Regeln noch immer. Das Reden (oder in diesem Fall Schreiben) lasse ich mir jedoch schon lange nicht mehr verbieten und daran sehe ich auch nichts Schlechtes.

Beim Mitmachen dagegen sieht die Sache schon ganz anders aus. Ich würde weder zusehen noch aktiv werden wollen. Weil ich über jene zwei Kerle auf der Decke überhaupt nichts weiß. Ich bin nicht lebensmüde oder draufgängerisch genug, um mit wildfremden Menschen spontan in eine wie auch immer geartete Interaktion zu treten.

Ich hoffe, das wird mir jetzt nicht schonungslos als übertriebene Prüderie ausgelegt, jedoch lege ich heutzutage deutlich mehr Wert darauf, diejenigen, mit denen ich meinen Spaß habe, wenigstens ein wenig zu kennen.

Grüße Frank

P.S.: Nein, ich bin kein Transvestit, auch wenn mein Nickname hier das vermuten ließe. =)

„Wow“, entfuhr es Gabriel, völlig untypisch für ihn, so dass Sam ihn erstaunt musterte.

„Na? Der weiß, wie man sich ausdrückt, was?“

Gabriel grinste. „Vor allem scheint er zu wissen, wie man sich benimmt. Wo kommt er her?“

Sam wandte sich wieder dem PC zu und rief das Profil von Frank’nFurter_26 auf. „Aus Berlin. Sein Motto lautet: Lesen gefährdet die Dummheit.“

„Gefällt mir“, befand Gabriel und zu Sams Freude schien er ebenso angetan von diesem Frank wie er selbst.

„Ja, mir auch! Was wollen wir ihm antworten?“

„Hm, vielleicht zunächst einmal, dass er als Einziger eine Antwort geschickt hat, die nicht von Körperteilen und Kraftausdrücken strotzt?“, schlug sein Freund vor.

„Gute Idee. Du oder ich?“

„Mach du, wenn mir an deiner Antwort noch was fehlt, sage ich es ...“

Sam tippte:

Hallo Frank,

Ehrlich mal, mit einer derart vernünftigen, gescheit formulierten und zu unseren Erwartungen passenden Antwort hatten wir nicht mehr gerechnet. Morgen sollte die Annonce offline gehen, weil wir keine Lust mehr auf dumme Eindeutigkeiten oder plumpe Anmachen hatten.

Wie Du bereits angedeutet hast, fehlt Dir einiges an Info über uns, um Dir überhaupt ein Bild von den Typen machen zu können, die eine solche Kontaktanzeige schalten.

Das würden wir nun gern ändern. Deshalb schlagen wir vor, dass wir zunächst mal mit den Fakten beginnen. Jeweils ein Fakt zum Umfeld (Beruf, Leben etc.) und ein Fakt zum Aussehen.

Es gibt natürlich haufenweise Fotos von uns, aber wir können über eine Seite wie diese oder auch sonstige Emails einfach keine davon verschicken. Wir hoffen, es reicht Dir (erst mal), wenn wir das mit unseren Berufen erklären. Gabriel ist der Boss einer europaweit agierenden Firma, Sam ist Ermittler.

Das zunächst zum Umfeld, jetzt noch zwei „sichtbare“ Fakten:

Gabriel hat dunkelblondes Haar und dunkelblaue Augen. Sam ist hellblond und über zwei Meter groß.

Es ist etwas unfair, weil wir den Anfang damit machen, aber Du darfst in deiner nächsten Antwort natürlich auch gern Fragen stellen. Hier sind unsere:

1.    Was machst Du nach Feierabend am liebsten?

2.    Welche Haarfarbe hast Du?

Wenn Dir das lieber ist, schreib’ Deine Antwort gern an unsere Emailadresse (ganz unten).

Hoffentlich haben wir dich jetzt nicht gleich wieder vergrault.

Viele Grüße von Sam und Gabriel

Sam las seinen Text laut vor und Gabriel nickte ihn ab. Kurz darauf befand sich die neue Nachricht an Frank bereits in dessen Postfach.

© Nathan Jaeger


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