Leseprobe
Alberne
Annoncen
Frank sah von dem Bücherstapel auf, der vor ihm auf seinem
Arbeitsschreibtisch lag. Neuzugänge für die Stadtbibliothek. Ihm als Lektor
oblag es, die Texte zu sichten und zu entscheiden, ob sie in die Kataloge der
öffentlichen Bücherei übernommen werden sollten.
Eine schöne Arbeit, die ihm wirklich viel Spaß machte.
Außerdem ersparte sie ihm nennenswerten Kundenumgang, den er seit seinem Umzug
nach Berlin eindeutig vermied.
Er klappte das Oberste auf und begann die Angaben des Impressums zu studieren, schloss es wieder und sah auf die Rückseite des Einbands. Der Klappentext las sich schon mal gut, dennoch stutzte er. In den neun Monaten, die er nun schon hier arbeitete, war noch nie ein neuer Roman mit homosexuellen Hauptcharakteren hier eingetrudelt. Dieser hier war aber anscheinend einer. Ein schwuler Roman, dem Klappentext nach ein Drama.
Neugierig geworden sah er nun wieder hinein und überflog die
ersten Seiten. Spannend!
Er wusste, er hatte freie Hand, was die Einbindung von neuen
Büchern in die Bibliothek anging, dennoch wollte er dieses erst komplett lesen.
Oftmals gab es erotische, zumeist sehr explizit beschriebene Sexszenen, was in
diesem Fall bedeuten würde, dass es zwar letztlich im Katalog landen könnte,
aber nur mit eindeutigem Altersnachweis und an über Achtzehnjährige ausgeliehen
werden durfte. Eben streng nach Jugendschutzgesetz.
Er beschriftete einen Klebezettel mit ‚komplett lesen, evtl.
Ü18‘ und heftete ihn auf den Einband, danach schob er das Buch beiseite und
widmete sich wieder dem Stapel.
Der Tag ging dahin mit Leseproben, Katalogisierung,
Altersempfehlungen und der Weiterleitung der Bücher an seine Kollegin, die sie
für die zukünftige Ausleihe vorbereiten würde.
Gegen 14 Uhr verließ er die Bibliothek durch die hellen,
lichtdurchfluteten Lesehallen und verabschiedete sich am Eingang bei den
Kolleginnen und Kollegen. Da er selbst nicht oder nur bei absolutem
Personalengpass hier an der Ausgabe, Information oder Rückgabe saß, hatte er
andere Arbeitszeiten. Und wenn er wie heute ein Buch zwecks Durchsicht mit nach
Hause nahm, konnte er oftmals auch früher in den Feierabend gehen. Immerhin
würde er den heutigen Tag damit verbringen, für seine Arbeit ein über 400
Seiten starkes Buch zu lesen. Niemand fragte ihn danach, wieso er das lieber zu
Hause tat, den meisten war es wohl klar, dass man gerade belletristische Texte
viel besser in einer gemütlichen Atmosphäre lesen und beurteilen konnte.
Frank schulterte seine Umhängetasche und ging zur
U-Bahn-Station.
Zu Hause angekommen startete er zuerst seinen PC, überprüfte
gewohnheitsmäßig sein Emailpostfach und fragte sich wie immer, wieso er das
noch tat. Mit seinem Umzug, na ja, wohl eher seiner Flucht, hatte er sämtliche
alten Kontakte abgebrochen. Sogar seine Handynummer gewechselt. Sein altes
Leben lag weit hinter ihm, auch wenn es ihn immer wieder in Alpträumen
heimsuchte.
Es kam tatsächlich eine Mail an. Auf einer einzigen Seite
für Gays war er mit einem neuen Nicknamen angemeldet und von dort hatte er
einen Newsletter erhalten. In diesem stand etwas von einer neuen Aktion, bei
der sich einzelne User oder Paare vorstellen konnten, um neue Kontakte zu
knüpfen.
Vielleicht sollte er sich nach seiner langen Abstinenz doch
mal wieder was zum Vögeln suchen? Irgendwie widerstrebte ihm der Gedanke. Auch
wenn er seine alten Kontakte allesamt im realen Leben, in Clubs und Diskotheken,
aber auch in sehr einschlägigen Parks gefunden hatte, bot das Internet
vielleicht doch eine Chance, brauchbare Sexpartner zu finden. Na ja, ein
genauerer Blick auf die diversen Angebote konnte jedenfalls nicht schaden,
würde ihn vielleicht sogar wieder klarer auf den Pfad der Enthaltsamkeit
bringen.
Er rief die Seite der Community auf, loggte ein und überflog
die Annoncen. Langweilig, nichtssagend, grammatikalisch unerträglich ...
Ja, es war schon ein Kreuz, nach abgeschlossenem
Germanistik- und Literaturwissenschaftsstudium im Internet mit den
schriftlichen Auswürfen seiner Artgenossen konfrontiert zu werden ... Oft
genug erwischte er sich dabei, selbst die gesprochenen Worte seiner Umgebung im
Kopf korrigieren zu wollen. Vielleicht war diese Arroganz auch nicht hilfreich,
wenn er nur ein wenig unverbindlichen Spaß suchte?
Aber wenn Frank dem Sprichwort ‚dumm fickt gut‘ Glauben
schenken wollte, müsste er sich eingestehen, dass er eine Niete im Bett
war ...
Er grinste breit. Das war er ganz sicher nicht. Er wusste,
wie gut er aussah, wie sehr andere auf seinen schlanken, nur fein bemuskelten
Körper abfuhren und auch auf sein Lächeln und seine leuchtend grünen Augen, die
durch sein dunkles Haar nur noch betont wurden.
Aber wenigstens die tarnte er seit seinem Umzug. Er trug
schon immer eine Brille, aber mit dem Weggang aus Köln hatte er sich
Kontaktlinsen besorgt. Braun getönte, die aus seinen offenbar sehr attraktiven
Augenaufschlägen die nichtssagenden eines Durchschnittstypen gemacht hatten.
Er fühlte sich wohl damit. Es hatte etwas von Undercover und
Inkognito, das er als beruhigend empfand.
Frank seufzte. In diesem Wust an Inseraten würde er gar
nichts finden, zumindest nichts Brauchbares. Deshalb benutzte er die
Suchfunktion und gab an, was er in den Anzeigen zu finden hoffte. Einzelperson
oder Paar ließ er offen, als Alter nahm er die Gruppe zwischen 25 und 30,
außerdem gab er an, dass er, wenn es nur um Sex gehen sollte, unverbindlich und geschützt bevorzugte.
Die Suche spuckte noch immer recht viele Annoncen aus.
Er blätterte sich durch die Angebote und stoppte abrupt ab,
als er einen sehr langen Text fand. Entgegen den meisten anderen Annoncen gab
es hier ganze Sätze, keinerlei Abkürzungen und eine direkte Anrede – zumindest
in der kleinen Vorschau.
Er klickte die Detailansicht an und sah sich den Text
genauer an.
Der Annoncierende war ein User namens ‚Erzengel-Sam‘
und Frank kicherte. Wie albern ...
Egal, diese Anzeige hatte etwas. Oben unter dem Usernamen
standen noch ein paar Eckdaten zur Zielgruppe der Annonce.
Alter: 20-30
Beziehungsstatus: Single
Mehr hatte der Erzengel nicht angegeben, aber vermutlich
reichte das auch, wenn man den darunter stehenden Inseratstext ansah. Und
immerhin erfüllte Frank beide Kriterien.
Hallo Du,
Ja, genau, hinter Dir
steht vermutlich niemand, also kannst nur Du gemeint sein! ;)
Vorweg, dies hier ist
der Partneraccount von Gabriel und Sam. Wenn also im Folgenden von ‚wir‘ die
Rede sein sollte, weißt Du immerhin schon mal, wie wir heißen.
Aber nun streng Deine
Fantasie an und stell Dir vor, du wärest auf einer paradiesischen Insel im
Südpazifik, vielleicht Französisch-Polynesien ... Du weißt schon, eines
dieser Superluxus-Urlaubsziele, zu denen man mehr als zwanzig Stunden lang
fliegt, um am Ende in einer Blockhütte über dem Wasser zu wohnen.
Perfektes, sonniges
Klima, Palmen, schneeweißer, feiner Sandstrand und Meeresrauschen. Du liegst in
einer Hängematte unter einer Palme und genießt die Natur, aber irgendetwas
fehlt ... Der Cocktail, den Du Dir gegönnt hast, ist längst leer und noch
bist Du zu träge, um zu deinem Blockhaus auf Stelzen zurückzukehren.
Dir ist heiß und Du
brauchst entweder eine Abkühlung im lauwarmen Tropenwasser oder ein noch
heißeres Date ... Du überlegst, was davon Dir gerade lieber wäre ...
Bis du das Pärchen siehst,
das näher am Wasser auf einer Decke liegt. Die beiden stammen aus der gleichen
Ferienanlage wie Du, sie knutschen wild und Du bist Dir sicher, wenn Du ihnen
nicht bald sagst, dass Du auch noch hier bist, fallen sie vor Deinen Augen
übereinander her. Sie haben Dich noch nicht bemerkt, deshalb beschließt Du, zu
ihnen zu gehen und allen ein paar Peinlichkeiten zu ersparen.
Du grüßt die beiden
freundlich, wahrst aber einen gewissen Abstand. Immerhin willst Du nicht
stören ...
Sie halten mit ihrem
heißen Treiben inne und mustern Dich. Dir wird klar, dass die zwei ziemlich
tageslichttauglich sind und Dich anlächeln.
Einer von ihnen fragt
Dich: „Hey, hast du Lust, mitzumachen?“
Du antwortest: ???
Schreib uns Deine
Antwort und sei weise. ;)
Grüße vom Erzengel und
Sam
Frank lehnte sich
zurück und runzelte die Stirn. Was sollte denn so eine Anzeige?
Wahrscheinlich hielt allein die Tatsache, dass der Text
nicht voller Fehler und deutlich länger war, die meisten davon ab, darauf zu antworten.
Außerdem fehlten diverse Angaben zu dem Pärchen. Frank
vermutete, dass die Mehrzahl der User lieber genauer Bescheid wüsste, bevor sie
antwortete. Oberflächlichkeiten waren immer ein Thema, besonders bei schwulen
Männern, die auf der Suche nach Sex waren.
Er überlegte, ob er so etwas wirklich noch einmal wollte,
speicherte die Annonce in einer Merkliste, die praktischerweise angeboten
wurde, und loggte aus.
Darüber musste er erst noch einmal gründlich nachdenken!
Er machte sich etwas zu essen. Auch wenn er für sich allein
kochen musste, tat er es gern. Niemand redete ihm hinein, niemand mäkelte über
Zutaten, die Frank liebte, alles war prima. Schließlich hatte er sich nach dem
Abi immer selbst versorgt. Um genau zu sein, konnte Frank sich vieles vorstellen,
aber nicht, dass er sein eigenes Reich plötzlich mit jemandem teilen musste
oder auf jemanden über Gebühr Rücksicht zu nehmen hatte.
Er war gern Single. Nicht zuletzt, weil er noch nie so
richtig verliebt gewesen war. Wenn man ihn danach fragte, manche
Arbeitskolleginnen taten das zwischenzeitlich, sagte er immer nur, dass er
Liebe für einen fiesen Trick der Natur hielt. Körperchemie zu
Reproduktionszwecken.
Er hatte immer gewusst, dass er sich nicht vermehren würde.
Frauen hatten ihn noch nie angetörnt. Meistens nicht einmal einen zweiten Blick
bei ihm provoziert. Es gab eben nichts an weiblichen Körpern, das ihn
nennenswert reizen konnte.
Ein Männerkörper dagegen, konnte seinen Hormonhaushalt schon
enorm auf Trab bringen! Muskeln, harte Körper, lange Beine, knackige Hintern,
Bartschatten, das waren Dinge, die er bemerkte. Und tiefe Blicke konnten ihn
erst dann für sich einnehmen, wenn sie voller Gier und Verlangen auf ihm
ruhten. Lippen waren auch so eine Sache ... Egal ob voll oder nicht, der
Gegensatz von maskulinen Gesichtszügen und zärtlichen Küssen auf seiner Haut,
war pures Dynamit für ihn.
Küsse auf den Mund dagegen ... nein, das kam bei ihm
nicht vor. Mit sechzehn hatte er einmal einen Jungen aus der Parallelklasse
geküsst. Zu Testzwecken, quasi. Aber da es eben nicht mehr gewesen war, hatte
sich der Knutschversuch als ausgesprochen nichtssagend erwiesen.
Und seitdem er achtzehn war, hatte er so ziemlich alles mal
ausprobiert – abgesehen von einer Sache ...
Frank wusste nicht, ob er jemals so was wie einen Mister
Right treffen würde, aber falls es so war, würde ebendieser der erste Mann
sein, der ihn vögeln durfte.
Er schob den Teller von sich und seufzte. Vergebene Mühe.
Der Grund für seine Flucht aus Köln hatte diese bewusste Enthaltsamkeit in
Sachen Penetration zunichtegemacht.
Tja, daran gab’s kein Rütteln. Jemand hatte ihm gewaltsam
etwas genommen, das er nur freiwillig und nur einem ganz bestimmten Traumtypen
hatte geben wollen.
Frank schnaubte abfällig. Wahrscheinlich war das sowieso total
albern, besonders, weil er ja eh nicht damit rechnete, so jemanden mal
kennenzulernen.
Wie auch? Wenn er sich nur noch auf dieser einen Gayseite
herumtrieb und ansonsten alle Treffpunkte für Schwule mied wie der Teufel das
Weihwasser?
Nein, heutzutage war das alles egal. Schlichtweg hinfällig.
~*~
Gabriel sah von seinen Unterlagen auf, als Sam in sein Büro
stürmte. Er lächelte. Sein Freund war einfach ein gigantischer Wirbelwind, dem
beinahe nichts schnell genug gehen konnte ...
„Was für eine Tarantel verfolgt dich denn?“, fragte er und
grinste breiter.
„Unsere Annonce hat über hundert Aufrufe, aber keiner
schreibt“, maulte Sam und klang geknickt. „Vielleicht war es doch keine so gute
Idee, einen richtigen Text zu schreiben?“
„Hm, sie ist doch erst seit zwei Tagen online. Erwartest du
Wunder?“
„Keine Ahnung, anscheinend! Aber wenn ich mir angucke, wie
viele Hits diese Anzeigen mit Schwanzlängenangaben und Fotos haben ... Das
geht in die tausende … Echt, ich glaube, wir haben schlechte Karten ...“
„Sieh es doch mal so: Wer sich die Zeit nimmt, unsere
Annonce zu lesen, wird erstens nicht der hinterletzte Trottel sein und zweitens
einen gewissen Anspruch an sich selbst haben ...“
Sam starrte ihn verwundert an und lachte. „Du denkst, der
Text schreckt die Vollpfosten ab?“
„Ja, ganz offensichtlich!“ Gabriel streckte die Hand nach
Sams Gesicht aus und strich über dessen leicht kratzige Wange. „Hmm, ich mag
es, wenn du zu faul zum Rasieren bist, Sammy. Und bevor du noch nervöser wirst:
Vielleicht sollten wir die Sache vergessen?“
Sam lehnte seine Wange in Gabriels Hand und schloss die
Augen. „Ich liebe dich, aber manchmal geht deine Vernunft mir auf den Keks,
mein Engel.“
Gabriel lachte. „Kriege ich heute noch einen Kuss? Und hast
du Helmi schon gefragt, wann es heute etwas zu essen gibt?“
„Ja und ja.“
Gabriel vertiefte den Kuss nahezu sofort und zog Sam auf
seinen Schoß. „Hmm, du warst wieder am Pudding ... irgendwann wird Helmi
dich deshalb mit einem Kochlöffel verhauen, ist dir das klar?“
Sam nahm Abstand und sah ihn an. „Klar, am gleichen Tag, an
dem sie hier kündigt ...“
Das stimmte vermutlich, Helmi gehörte so sehr zu diesem Haus
wie niemand sonst. Sie würde nie kündigen und Sam auch niemals ernsthaft böse
werden, weil er naschte.
„Also? Willst du die Anzeige ändern oder rausnehmen?“, hakte
Gabriel noch einmal nach.
„Nein, ich denke, zwei Wochen geben wir der Sache noch, dann
ist dieses Experiment offiziell gescheitert ...“ Sam schlang seine Arme um
ihn und küsste ihn erneut. „Vielleicht ist es mir auch viel lieber, dass ich
dich nicht teilen muss.“
Gabriel nickte. Das mit dem Teilen war sowieso so eine
Sache. Im Grunde wussten sie beide, dass sie sich liebten und das ja auch nicht
erst seit gestern, sondern immerhin schon seit sieben Jahren!
„Du musst doch sowieso nicht, Sammy. Wie du dich sicherlich
erinnern wirst, hast du dir diesen Floh ins Ohr setzen lassen, nicht ich.“
Zu Anfang hatte die Idee eines guten Freundes aus New York
für Sam und ihn wirklich seltsam geklungen. Immerhin waren sie lange Jahre
zusammen und sahen überhaupt keine Notwendigkeit, mehr ‚Pepp‘ in ihre Beziehung
zu bringen, aber bei längerem darüber Nachdenken entstand am Ende die
Überlegung, eine Art Testballon zu starten und einfach abzuwarten. Jeromé hatte
ihnen erzählt, dass man so am schnellsten herausfand, wie die Mitglieder einer
Gay-Community tickten. Man schrieb eine Annonce, die gegen jeglichen Mainstream
lief und wartete ab. Mit etwas Glück fand man auf diese Art neue Kontakte,
vielleicht Freunde, die über die allgemein auf den Online-Plattformen
vorherrschende Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit hinausging.
Nun aber zeigte sich wohl doch, dass Sams angeborene Neugier
einen enormen Reiz auf ihn ausübte und er tatsächlich mit dem Gedanken spielte,
mehr als nur neue Freunde zu finden.
„Du sagst das, als hätte ich es allein entschieden ...“
Sams betroffene Miene ließ Gabriel schlucken und lächeln.
„He, schon vergessen? Wir tragen alle Entscheidungen
zusammen. Und du weißt, dass der Reiz des Neuen mich auch längst gepackt hat.
Also, gesetzt den Fall, derjenige, der sich meldet, entspricht dem, was wir uns
vorstellen.“
„Hm, ich grüble schon die ganze Zeit, was ich mir
vorstelle ... vielleicht zur Abwechslung mal etwas Rothaariges?“ Sam
lachte und küsste Gabriel.
„Nein, dann lieber dunkle Haare. Und welche Augenfarbe?“,
alberte Gabriel mit. Er wusste, dass auch Sam das alles nicht allzu ernst nahm.
„Hm, vielleicht ... grün? Ich finde grüne Augen voll
sexy!“
„Oh, na danke ...! Sind dir meine blauen also nicht
mehr schön genug?“
„Deine Augen sind der Wahnsinn, Engel, das weißt du sehr
genau! Aber denk mal an so richtig feurige grüne und sag mir, dass sie auf dich
nicht sexy wirken ...“
„Hm, also mir gefallen die himmelblauen, die mich grade
ansehen, als wäre ich eine besonders appetitliche Vorspeise ...“ Gabriel
knurrte leise und ließ seine Hand verlangend in Sams Nacken gleiten, um ihn
dicht an sich zu ziehen.
„Vorspeise?“, flüsterte Sam gegen seine Lippen und übernahm
die Initiative auf so fordernde Weise, dass Gabriel sich stöhnend ergab.
~*~
Sam starrte schon wieder auf die Annonce, die er und Gabriel
aufgegeben hatten, überlegte, wie ratsam das Ganze wohl war und vor allem auch,
welche Auswirkungen es haben könnte, wenn sie tatsächlich jemanden fänden, mit
dem sie einmaligen Spaß oder vielleicht sogar eine Affäre anfangen könnten.
Immerhin wollten sie den oder die sich meldenden Typen ja
vorher kennenlernen. Per Email zunächst und dann mal weitersehen.
Sein Erzengel und er hatten zwar schon so einige
Eventualitäten durchgesponnen, aber alles blieb so hypothetisch!
Und genau das gefiel ihm gar nicht. Er wollte gern alles und
sofort. Wieso verflucht noch mal meldete sich denn nicht einfach mal einer,
damit sie es testen konnten? Immerhin waren die zwei Wochen beinahe um!
Inzwischen waren wirklich genug Bekloppte in ihre Mailbox
getappt, um mit unschönen Umschreibungen und wirklich plattem Sex in gruseliger
Ausdrucksweise und Rechtschreibung von ihren Schwänzen und diversen Löchern zu
schreiben, die sie zu stopfen gedachten. Absolut nicht passend.
Also wartete er auf einen, der es ernst meinte ...
Morgen würde die Anzeige noch online stehen, danach nicht
mehr. Aber noch war Sam einfach nicht bereit, das Experiment für gescheitert zu
erklären.
Aufgeben war einfach keine Option für ihn. Noch nie. Wie
hätte er sich sonst vor so vielen Jahren Gabriel, seinen Boss!, schnappen
sollen?
Er hypnotisierte die Profilseite in der Gay-Community und
aktualisierte wieder und wieder.
Irgendwann musste sich doch mal was tun!
Er seufzte tief und aktualisierte ein letztes Mal. Blinzelnd
sah er, dass tatsächlich endlich eine Nachricht angekommen war. Er rief sie auf
und brüllte zeitgleich nach seinem Liebsten. „Gabriel! Wir haben endlich eine
vernünftige Antwort!“
Gabriel erschien hinter ihm, setzte sich in einen Sessel in
der Nähe und sagte: „Na, dann lass mal hören.“
„Okay, also Absender: Frank’nFurter_26. Betreff: Palmenstrand
und Sonnenbrand?“, berichtete Sam und lehnte sich zurück, während er
den Rest der Nachricht vorlas und Gabriel eine Hand hinstreckte, die dieser
sofort ergriff und liebevoll streichelte.
„Hallo Ihr,
Meine Antwort an Euch
wäre, dass ich nicht mit fremden Männern reden darf, weil meine Mami mir das
immer verboten hat. Auch wenn das mittlerweile über 20 Jahre her ist, gelten
bestimmte Regeln noch immer. Das Reden (oder in diesem Fall Schreiben) lasse
ich mir jedoch schon lange nicht mehr verbieten und daran sehe ich auch nichts
Schlechtes.
Beim Mitmachen dagegen
sieht die Sache schon ganz anders aus. Ich würde weder zusehen noch aktiv
werden wollen. Weil ich über jene zwei Kerle auf der Decke überhaupt nichts
weiß. Ich bin nicht lebensmüde oder draufgängerisch genug, um mit wildfremden
Menschen spontan in eine wie auch immer geartete Interaktion zu treten.
Ich hoffe, das wird
mir jetzt nicht schonungslos als übertriebene Prüderie ausgelegt, jedoch lege
ich heutzutage deutlich mehr Wert darauf, diejenigen, mit denen ich meinen Spaß
habe, wenigstens ein wenig zu kennen.
Grüße Frank
P.S.: Nein, ich bin
kein Transvestit, auch wenn mein Nickname hier das vermuten ließe. =)“
„Wow“, entfuhr es Gabriel, völlig untypisch für ihn, so dass
Sam ihn erstaunt musterte.
„Na? Der weiß, wie man sich ausdrückt, was?“
Gabriel grinste. „Vor allem scheint er zu wissen, wie man
sich benimmt. Wo kommt er her?“
Sam wandte sich wieder dem PC zu und rief das Profil von
Frank’nFurter_26 auf. „Aus Berlin. Sein Motto lautet: Lesen gefährdet die
Dummheit.“
„Gefällt mir“, befand Gabriel und zu Sams Freude schien er
ebenso angetan von diesem Frank wie er selbst.
„Ja, mir auch! Was wollen wir ihm antworten?“
„Hm, vielleicht zunächst einmal, dass er als Einziger eine
Antwort geschickt hat, die nicht von Körperteilen und Kraftausdrücken
strotzt?“, schlug sein Freund vor.
„Gute Idee. Du oder ich?“
„Mach du, wenn mir an deiner Antwort noch was fehlt, sage
ich es ...“
Sam tippte:
Hallo Frank,
Ehrlich mal, mit einer
derart vernünftigen, gescheit formulierten und zu unseren Erwartungen passenden
Antwort hatten wir nicht mehr gerechnet. Morgen sollte die Annonce offline
gehen, weil wir keine Lust mehr auf dumme Eindeutigkeiten oder plumpe Anmachen
hatten.
Wie Du bereits
angedeutet hast, fehlt Dir einiges an Info über uns, um Dir überhaupt ein Bild
von den Typen machen zu können, die eine solche Kontaktanzeige schalten.
Das würden wir nun
gern ändern. Deshalb schlagen wir vor, dass wir zunächst mal mit den Fakten
beginnen. Jeweils ein Fakt zum Umfeld (Beruf, Leben etc.) und ein Fakt zum
Aussehen.
Es gibt natürlich
haufenweise Fotos von uns, aber wir können über eine Seite wie diese oder auch
sonstige Emails einfach keine davon verschicken. Wir hoffen, es reicht Dir
(erst mal), wenn wir das mit unseren Berufen erklären. Gabriel ist der Boss
einer europaweit agierenden Firma, Sam ist Ermittler.
Das zunächst zum
Umfeld, jetzt noch zwei „sichtbare“ Fakten:
Gabriel hat
dunkelblondes Haar und dunkelblaue Augen. Sam ist hellblond und über zwei Meter
groß.
Es ist etwas unfair,
weil wir den Anfang damit machen, aber Du darfst in deiner nächsten Antwort
natürlich auch gern Fragen stellen. Hier sind unsere:
1. Was machst Du nach Feierabend am liebsten?
2. Welche Haarfarbe hast Du?
Wenn Dir das lieber
ist, schreib’ Deine Antwort gern an unsere Emailadresse (ganz unten).
Hoffentlich haben wir
dich jetzt nicht gleich wieder vergrault.
Viele Grüße von Sam
und Gabriel
Sam las seinen Text laut vor und Gabriel nickte ihn ab. Kurz
darauf befand sich die neue Nachricht an Frank bereits in dessen Postfach.
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