Leseprobe
Zwei Probleme - eine Lösung
Kapitel 1
„Geh weg! Es ist noch dunkel draußen.“ Ungehalten wedle ich
mit dem Arm an der Bettkante entlang.
Augenblicklich stupst eine kalte Hundenase gegen meinen
Handrücken und die nasse Zunge schlabbert gleich hinterher.
Manchmal hasse ich meinen Hund! Ganz besonders, wenn es ihm
in den Kopf kommt, morgens um sechs Gassi gehen zu wollen.
„Keno! Körbchen! Heia machen“, versuche ich es mit gutem
Zureden.
Leise klacken die Krallen seiner Pfoten auf dem Laminat.
Unzufrieden brummelnd wirft er sich in sein Hundebett.
Wie immer, wenn ihm etwas nicht passt, trifft er mit seinem
Kampfgewicht von knappen fünfunddreißig Kilo, zielsicher das Fußende meines
Bettes und rüttelt mich gehörig durch.
Egal! Ich ziehe mir die Decke über die Ohren und schließe
die Augen. Wenn ich ganz viel Glück habe, schläft er noch ein paar Stunden.
Klappt natürlich nicht. Warum sollte es auch?
Der arme Keno weiß nicht, dass Wochenende ist, und ich gerne
ausschlafen würde.
Nachdem er, leidend seufzend, zum dritten Mal die Position
gewechselt und dem Bettrahmen ein mittleres Erdbeben verpasst hat, ergebe ich
mich in mein Schicksal und schlage die Decke zur Seite.
„Du hast gewonnen, mein Freund.“ Kaum berühren meine Füße
den Boden, steht er freudig wedelnd neben mir.
Wir spulen unser übliches Morgenritual ab.
Ich breite die Arme aus und er springt mit den Vorderpfoten
auf meine Oberschenkel. Jetzt muss ich ihn ordentlich durchknuddeln, hinter den
Ohren kraulen und mir im Gegenzug ein paar Nasenstüber abholen.
„Wie sieht’s aus, darf ich mich wenigstens waschen, bevor
wir rausgehen?“
„Wuff.“
Okay, die Antwort bekomme ich jedes Mal und darf mir dann
aussuchen, ob es ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ heißen soll.
Ich mache mich auf den Weg ins Bad, nicht ohne mindestens
einmal über das schwarze Untier zu stolpern, das ununterbrochen um mich
herumwuselt.
Die Tür vor seiner Nase zu schließen, habe ich bereits vor
langer Zeit aufgegeben.
Kaum war aus meinem niedlichen kleinen Welpen ein Junghund
geworden, hat er sich selbst beigebracht, Türen zu öffnen.
Zu Anfang fand ich es befremdlich, beim Pinkeln und Duschen
beobachtet zu werden, aber man gewöhnt sich bekanntlich an alles.
Während ich mir die Zähne putze, sitzt er neben mir und
hopst ungeduldig von einer Vorderpfote auf die andere.
„Du oller Nervsack, hör auf zu treiben“, nuschle ich mit der
Zahnbürste im Mund.
Bei meiner Rückkehr ins Schlafzimmer reiße ich als erste
Amtshandlung das Fenster weit auf. Der April ist in diesem Jahr wirklich so
launisch, wie man es ihm nachsagt.
Brr, die einströmende Luft, die meinen fast nackten Körper
trifft, ist arschkalt. Ich suche mir eine Thermohose samt dickem Fleecepulli
raus und mummle mich fröstelnd auf schnellstem Weg darin ein.
„Kriege ich noch einen Kaffee, ehe wir losgehen?“, frage
ich, weil es ebenso zu unserem morgendlichen Ablauf gehört.
Kenos Antwort ist eindeutig. Er verschwindet blitzartig und
ich weiß genau, wo ich ihn finde. In der Diele wartet er vor der Garderobe
darauf, dass ich ihm Halsband und Leine anlege.
Ich hocke mich auf die Bank, um meine wetterfesten Schuhe
anzuziehen. Dabei behindert mich ständig eine nasse Hundenase.
„Pfui!“, schimpfe ich Keno an und er setzt sich brummelnd
hin.
Jetzt noch die dicke Steppweste und ich bin startklar.
„Du bist ein Menschenschinder“, maule ich liebevoll. „Na
los, dann wollen wir mal ein paar Bäume und Sträucher anpinkeln gehen.“
Freudig hüpft er an mir hoch, als ich die Wohnungstür öffne.
Praktischerweise befinden sich im Umkreis meiner Wohnung
drei verschiedene Parks. Um diese Uhrzeit sind, speziell am Wochenende, noch
keine weiteren Hundebesitzer unterwegs und ich kann Keno von der Leine lassen,
sobald wir weit genug von der Straße entfernt sind.
Er wuselt mal nach rechts mal nach links, schnüffelt jeden
einzelnen Grashalm, jedes Gebüsch und sämtliche Bäume ab. Markiert mal hier,
mal da.
Zwischendurch pfeife ich ihn zurück, lasse ihn ein Stück des
Weges bei ‚Fuß‘ gehen, damit er nicht zu übermütig wird.
Wir erreichen das mittig im Park gelegene Biotop und ich
erlaube ihm, erneut loszurennen.
Eine Weile trabt er fröhlich wedelnd vor mir her, bis er
urplötzlich die Nase dicht auf den Boden senkt.
Anscheinend hat er eine spannende Fährte aufgenommen.
In Windeseile verschwindet er in dem für Menschen undurchdringlichen
Dickicht aus mannshohen Rohrkolben und Schilf, welche den Teich umgeben.
Was soll der Scheiß? So was hat er noch nie gemacht.
„Keno! Hierher! Sofort!“, brülle ich in die morgendliche
Stille.
Die gesamte Fauna in meiner Umgebung nimmt mir das sehr übel.
Vögel, in unterschiedlichsten Tonarten schimpfend, starten
in Scharen aus den Bäumen, Enten schnattern aufgebracht hinter ihrem Schutzwall
aus Pflanzen.
Ich versuche erneut, ihn durch Rufe zur Rückkehr zu bewegen,
bevor ich mich schaudernd in das Gestrüpp stürzen muss, in dem er verschwunden
ist. Ich darf gar nicht daran denken, welche Krabbeltiere mir anschließend auf
dem Pelz kleben.
„Keno! Fuß!“
Die großen Pflanzen bewegen sich raschelnd, saugende,
schmatzende Geräusche dringen zu mir.
Siehe da!
Mit hängenden Ohren kriecht ein vor Dreck starrender
Schäferhund aus dem Dickicht. Sein schlechtes Gewissen drückt ihn nieder. Er
rutscht fast auf dem Bauch, als er sich mir nähert.
Super! Matschverklebtes Fell an Beinen und Bauch.
Mein Hund ist nicht mehr schwarz, sondern zur Hälfte braun.
Danach fällt mein Blick auf seine rostig-braun verfärbte Schnauze.
Ist das Blut?
„Hier ran. Sitz!“
Schuldbewusst schaut er mich an und beeilt sich, meinem
Befehl zu folgen.
Ich beuge mich zu ihm herunter und ziehe seine Kiefer
auseinander.
Hm, Verletzungen hat er weder im Maul noch an den Lefzen.
Bestimmt hat er irgendein kleines Tier erlegt und gefressen. Sehr ungewöhnlich.
Bisher haben sich seine Versuche, verbotene Sachen zu fressen, auf Hasenköttel
beschränkt.
Daran muss ich arbeiten. Das darf nicht noch einmal
vorkommen.
„Na, du Schlingel. Was hast du dir einverleibt? Muss ich dir
schon wieder einen Vortrag halten, wie ungesund es ist, etwas anderes als dein
Hundefutter zu fressen?“
Die momentan dürre, matschtriefende Rute bewegt sich zaghaft
wedelnd über den sattgrünen Rasen und hinterlässt einen dunklen Halbkreis. Er
senkt erneut den Kopf, nachdem ich seine Schnauze freigegeben habe.
„Schämst du dich wenigstens?“
Sofort wirft er sich auf den Boden und legt beide Pfoten
über die Augen. Lachend tätschle ich ihm den Kopf.
„Braver Hund“, lobe ich.
Von klein auf habe ich ihm lustige und alberne Tricks
beigebracht, was mir eben so eingefallen ist.
Inzwischen sind Keno und ich seit vier Jahren liiert und er
ist mein ganzer Lebensinhalt.
Ich pflege ausgesprochen wenige persönliche Kontakte zu
Menschen, abgesehen von meinen Eltern und meinem älteren Bruder samt Anhang.
Zu meinem Leidwesen lassen sich Begegnungen mit anderen
Individuen nicht ganz vermeiden. Schließlich muss ich einkaufen und mit dem
Hund raus.
Besonders andere Hundebesitzer sind immer der Meinung, sie
müssten mir ein Gespräch aufzwingen und reagieren ziemlich konsterniert, wenn
ich nicht darauf eingehe.
Leises Fiepen erinnert mich daran, wo ich gerade bin.
„Na los, du musst unter die Dusche.“ Das letzte Wort löst
jämmerliches Gejaule aus.
„Selbst schuld. Ich hab nicht gesagt, du sollst dich im
Schlamm suhlen.“
Wie ein Häufchen Elend trabt er neben mir her, bis wir zu
Hause sind.
Als gut erzogener Hund wartet Keno vor der Wohnungstür, bis
ich mit einem Arm voller Handtücher zu ihm zurückkehre.
Ich säubere ihn notdürftig und schicke ihn anschließend ins
Bad.
Bis auf die Boxershorts ziehe ich mich aus. Keno liebt zwar
Wasser, aber die Dusche ist ihm verhasst. Dementsprechend bin ich nachher
ebenso nass wie er.
~*~
Endlich sitze ich mit einem wohlverdienten großen Pott
Kaffee in der Frühstücksecke.
Mein tödlich beleidigter Schäfi liegt in seinem Körbchen und
wirft mir strafende Blicke zu.
Ich schmunzle, während ich genüsslich an meinem Kaffee
nippe.
Mal überlegen, was steht für heute auf dem Plan?
Auf jeden Fall ein Großeinkauf. Die Inspektion meines
Kühlschranks hat ergeben, dass ich erst frühstücken kann, wenn ich Brot,
Brötchen und Aufschnitt besorgt habe. Mit Fleisch und Gemüse bin ich ebenfalls
nicht mehr gut versorgt.
Bevor ich mich dazu motivieren kann, unter Menschen zu
gehen, brauche ich dringend noch einen zweiten Kaffee.
Um kurz vor neun mache ich mich auf den Weg zum Auto.
Keno bleibt brav zu Hause. Sein Fell ist noch feucht und er
bekommt im Auto nicht genug Bewegung, um sich warm zu halten. Viele behaupten
zwar, Hunde können sich auf diesem Weg keine Erkältung einfangen, aber das ist
mir egal.
Immerhin habe ich die Schweinerei mit ihm schon einmal
durchgemacht und fand das nicht lustig. Ich habe mit ihm gelitten, als er
schlapp und lustlos in seinem Körbchen lag, aber immer, wenn er niesen musste,
flog der ganze Rotz quer durch die Wohnung und blieb überall kleben.
Einige Tage habe ich mein Leben nur auf den Knien verbracht,
um die Spuren schnellstmöglich von Möbeln und Wänden zu entfernen. Das muss ich
nicht noch mal haben.
Ich hege die Hoffnung, dass an einem Samstag um diese
Uhrzeit noch nicht so viele Leute unterwegs sind. Als ich auf den Parkplatz des
Supermarktes einbiege, werde ich allerdings eines Besseren belehrt.
Eine Million Menschen und ich! Gruselig!
Es kostet mich Überwindung, mein schützendes Fahrzeug zu
verlassen, aber ich brauche Vorräte. Also, Augen zu und durch.
Der Einkauf zieht sich. Es dauert über eine Stunde, ehe ich
den Laden verlassen kann. Nach endlosem Geschiebe und Geschubse, besonders im
Kassenbereich, atme ich vor der Tür erst mal tief durch.
Frische Luft! Bewegungsfreiheit.
Nichts wie ab nach Hause.
Denkste!
Erst will mein Auto nicht anspringen, als es nach etlichen
Versuchen endlich läuft, leuchtet das Motorsymbol im Display auf und die Karre
bockt wie eine alte Ziege.
Ich schalte den Wagen aus, warte ein paar Minuten und
versuche erneut mein Glück. Jetzt schnurrt er wie ein Kätzchen. Erleichtert
atme ich auf. Allerdings währt die Freude nicht lange.
Nachdem ich die halbe Strecke hinter mir habe, zieht der
Motor nicht mehr und fängt erneut an zu bocken.
So ein Mist! Ausgerechnet am Wochenende. Sämtliche
Werkstätten sind geschlossen und einen Notdienst rufe ich nicht an, dafür bin
ich zu geizig.
Im Schneckentempo tuckere ich mit eingeschalteter
Warnblinkanlage heim.
Ein paar merkbefreite Idioten sind trotzdem der Meinung, mir
mit ihrem Gehupe auf den Sack gehen zu müssen.
„Macht die Augen auf, ihr Hirsel“, brülle ich.
Durch mein halb geöffnetes Fenster hören mich zumindest die
Fußgänger.
Ich kann es an ihren verschiedenen Reaktionen ablesen.
Manche schütteln tadelnd den Kopf, andere amüsieren sich, einer reckt mir sogar
den erhobenen Daumen entgegen.
Angefressen stelle ich den Wagen in die Garage, schnappe mir
die Einkaufstüten und trage sie nach oben.
Zum Glück muss ich vorläufig nirgendwo mehr hin, es reicht
also, wenn ich mir nächste Woche Gedanken darüber mache, was ich wegen des
Autos unternehmen will.
Keno wackelt sich vor Freude den Hintern ab, als ich zur Tür
hereinkomme. Wie immer hebt das meine Laune schlagartig.
„Na, mein Dicker. Hast du mich vermisst?“
„Wuff. Wuff.“ Zur weiteren Bestätigung hüpft er wie ein
Flummi auf und ab, versucht dabei, mir das Gesicht abzulecken.
„Warst du lieb? Hast du ein Leckerli verdient?“
Sofort setzt er sich hin, hebt die Augenbrauen, wodurch sich
seine Stirn in Falten legt, und schaut mich treuherzig an.
„Braver Junge.“ Auf mein Nicken folgt er mir und wartet vor
der Küchentür, bis ich die Einkäufe verstaut habe.
Es hat lange gedauert, bis er begriffen hat, dass die Küche
für ihn tabu ist. Er hat bei dieser Übung ganz schön auf meinen Nerven
herumgetrampelt. Ich fand es echt nicht lustig, hundert Mal am Tag ‚raus da‘ zu
rufen.
Weil er so brav gewartet hat, bekommt er zur Belohnung ein
getrocknetes Rinderohr, mit dem er sich freudig wedelnd in sein Körbchen
verzieht.
Für die nächsten zwei Stunden ist er beschäftigt und ich
bereite mir, nachdem ich bequeme Schlabberklamotten angezogen habe, ein
opulentes Frühstück.
Rührei mit Schinken, frisch gepressten Orangensaft,
Brötchen, Aufschnitt und – ganz wichtig – einen weiteren großen Pott dampfenden
Kaffees.
Während ich genüsslich alles verdrücke, lese ich am Tablet
meine Emails.
Oh Mann, die Mail des Verlages, der gelegentlich Aufträge an
mich vergibt, wenn seine eigenen Kapazitäten nicht ausreichen, lässt mich
aufmerken.
Sie teilen mir lapidar mit, dass sich kurzfristig ihr
Zeitplan geändert hat und die Veröffentlichung des Thrillers, den ich in Arbeit
habe, vorverlegt wurde. Ich werde aufgefordert, das fertige Lektorat in zehn
Tagen abzuliefern.
„Ihr tickt doch nicht ganz sauber!“, schimpfe ich lautstark.
Meinen die etwa, ich hätte sonst nichts zu tun?
Keine Ahnung, ob ich das hinbekommen kann. Ich öffne meinen
Terminkalender.
Hm, neben dem Verlagsauftrag stehen aktuell noch drei
Kurzgeschichten in der Pipeline. Für zwei Romane, zwei Novellen und eine
weitere Kurzgeschichte liegen zwar Anfragen vor, aber ich habe bisher keine
Details, geschweige eine Deadline erhalten.
Der Autor des Thrillers ist ein alter Hase, ich kenne alle
seine Bücher und habe sie immer begeistert verschlungen. Dies ist der erste
Roman von ihm, den ich selbst lektoriere, aber auf den bisher bearbeiteten 300
Seiten habe ich weder Zeit- noch Logikfehler gefunden. Sein Schreibstil ist
flüssig und erforderte nur wenige Korrekturen. Wenn das auf den restlichen 420
Seiten so bleibt, wovon ich stark ausgehe, kann ich den gesetzten Abgabetermin
einhalten.
Grundvoraussetzung ist allerdings, dass ich die anderen
laufenden Projekte ein paar Tage nach hinten schieben kann.
Für diese Autoren arbeite ich schon einige Jahre, daher bin
ich zuversichtlich, dass zumindest zwei meiner Bitte zustimmen werden.
Schnell tippe ich eine Nachricht an die drei und bitte sie,
sich kurzfristig telefonisch bei mir zu melden.
Ich ziehe es vor, solche Dinge persönlich zu klären.
Textnachrichten werden gerne mal falsch aufgefasst.
Dem Verlag teile ich mit, dass ich daran arbeite, andere
Termine zu verschieben und erst Montag eine konkrete Antwort geben kann.
Ade, ruhiges Wochenende.
Ich nehme den letzten Kaffee mit ins Arbeitszimmer und rufe
die Datei des Thrillers auf.
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