Freitag, 5. November 2021

[Leseprobe] Rache in Bildern

 Leseprobe

Valentin trat aufs Gaspedal und fuhr zornig davon. Nur weg von hier. Vor nicht einmal zwei Minuten war er aus dem Haus gestürmt und hatte sich hinters Steuer geklemmt. Keinen Augenblick länger hätte er das Gezeter ertragen.

Cédric, sein mittlerweile wohl frischer Ex hatte sich am heutigen Tage als absolute Nullnummer erwiesen.

Nein, falsch, Nummern hatte er diverse geschoben, aber eben nicht mit Valentin, sondern mit irgendwelchen dahergelaufenen Typen, die er im Netz aufgegabelt hatte.

Valentin schnaubte. Gay-wie-auch-immer. Solche Seiten waren nichts anderes als Sexanbahnungsplattformen für die tausende armseliger Kerle, die entweder nach einem Sugardaddy suchten oder sich nicht nur ihr Hirn, sondern wohl auch gleich noch jegliches Herz rausgevögelt hatten. Oh und klar, genug Schlampen und Flittchen gab es auch dort.

Wie Cédric.

Willig und geil, solange man ihn mit einem guten Fick oder einem möglichst exklusiven Abendprogramm verwöhnte.

Das war ja alles gut und schön für die Typen, die eben keinen Bock auf eine feste Beziehung hatten, aber in Valentins Augen hatten sich dort nur Kerle herumzutreiben, die ungebunden waren.

Cédric war es bis grade eben nicht gewesen. Bis zu dem Augenblick, in dem Valentin aufgesprungen und abgehauen war.

„Ich kann es dir nicht erklären! Bitte, Val!“ Cédrics Stimme hallt noch in seinen Ohren. „Natürlich habe ich mit anderen geschlafen … Ich brauchte das einfach, okay?! Du warst unterwegs und hast es doch gar nicht mitgekriegt!“

Valentin schnaubte noch einmal. Natürlich! Weil homosexuelle Männer ja nicht treu sein konnten. Weil sie ihrem Schwanz und dessen Wünschen folgten, anstatt auch ab und an mal auf ihre Gefühle – oder die eines anderen! – zu achten. Zum Kotzen!

Er versuchte sich zu erinnern, wie oft er Cédric angeboten hatte, ihn zu begleiten, wenn er unterwegs war. Er hatte ihm damit ein Exklusivticket in die Welt eröffnet, aber Cédric hatte es abgelehnt.

Valentin war Pilot. Nicht bei einer großen Airline, sondern für eine Firma, deren Bosse Linienflüge hassten und sich deshalb zwei Privatjets angeschafft hatten.

Und Cédric hatte ihn tatsächlich nicht ein einziges Mal begleitet, obwohl das problemlos möglich gewesen wäre.

Während Valentin darüber nachdachte, begriff er, dass sein Ex wohl schon von Anfang an jede Möglichkeit zu Seitensprüngen genutzt hatte.

„Tja, so enden sie, dreieinhalb Jahre einer Beziehung, die wohl nie etwas anderes war als einseitig“, murrte er vor sich hin.

Cédrics letzte Worte schossen ihm in den Kopf: „Wenn du jetzt gehst, glaub ja nicht, dass ich noch hier bin, wenn du zurückkommst!“

War ja mal ne interessante Drohung, fand Valentin. Im Grunde wäre er unendlich dankbar dafür, dass Cédric sich innerhalb kürzester Zeit verpisste.

Auf den Anblick dieses verlogenen, betrügerischen Typen hatte er nämlich genauso wenig Lust, wie auf dessen Kram, der noch in seiner Wohnung lag.

„Prima, wirf den Schlüssel in den Briefkasten, wenn du die Tür hinter dir abgeschlossen hast!“, hatte Valentin zurückgefaucht und sich aus dem Staub gemacht. So ein Loser, echt mal!

Er versuchte, sich auf die Fahrt zu konzentrieren, was ihm einigermaßen schwerfiel. Denn ja, verdammt, es tat weh, jahrelang so ausgenutzt und hintergangen worden zu sein! Unglaublich weh.

Und genau das ärgerte ihn über die Maße. Er wollte einfach nur sauer auf Cédric sein, wollte nicht jegliches Vertrauen in andere verlieren, nur weil ein Arschloch ihn betrogen hatte.

Eines war ihm jedenfalls jetzt schon klar, von Beziehungen, Partnerschaften oder auch nur schnellem, unverbindlichen Sex hatte er erst einmal die Nase voll.

Valentin suchte eine CD heraus und schob sie in den Player, drehte die Anlage auf und sah zu spät, dass die Ampel, der er sich näherte, rot war.

Obwohl er voll in die Eisen ging, schaffte er es nicht, an der Haltelinie zu bremsen. Sein BMW rollte vor dem Stillstand noch eine Wagenlänge weiter und nichts und niemand konnte den folgenden Aufprall verhindern.

Ein Wagen knallte von links in seinen BMW und alles, was Valentin noch dachte, war: Scheiße, das war’s also.

* * *

Er erwachte mit höllischen Kopfschmerzen, stöhnte leise und versuchte, sich zu bewegen, doch eine Frauenstimme hielt ihn davon ab.

„Bleiben Sie ruhig liegen, bitte. Es tut mir so leid! Nicht bewegen! Möchten Sie etwas trinken?“, haspelte es irgendwo neben ihm.

Valentin war sich sicher, dass er die Stimme nicht kannte, und öffnete mühsam blinzelnd die Augen, um nach der Sprecherin zu suchen, die seine rechte Hand ergriffen hatte und sie sacht tätschelte.

Als er es schaffte, blickte er in ein schmales Gesicht, aus dem ein blaues Augenpaar ihn musterte. Große, dunkelblonde Locken umrahmten ihren Kopf mit einer wilden Kurzhaarfrisur.

Sein hübsches Gegenüber war vielleicht Mitte zwanzig und jetzt begriff Valentin auch, wieso es so belegt geklungen hatte: Die Augen waren gerötet, die Wangen etwas verquollen und ganz offensichtlich hatte sie geweint.

Doch nicht etwa seinetwegen?

Er erinnerte sich an ihre Frage und nickte.

„Ja, Wasser, bitte“, brachte er mühsam hervor und bemerkte, dass seine Zunge sich aufgedunsen und rau anfühlte.

Sie sprang auf, ließ seine Hand los und hantierte neben ihm herum, bevor sie ihm mit zittrigen Händen ein kleines Glas hinhielt.

Er wollte es ihr abnehmen, doch sie schob ihre freie Hand unter seinen Nacken und setzte ihm das Glas an die Lippen. „Bitte, lassen Sie sich helfen. Ich … ich bin so froh, dass Sie leben!“

Irgendwann sickerte, neben dem Wasser, das wohltuend seine Kehle hinabrann, die Erkenntnis in seinen Kopf, dass die junge Frau wohl mit dem Unfall zu tun hatte.

Valentin räusperte sich, nachdem sie das Glas abgesetzt hatte. „Was fehlt mir?“

Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. So stellte sich Valentin das personifizierte schlechte Gewissen vor.

„Sie haben einige Knochenbrüche, aber die Ärzte wollten mir nichts Genaues sagen. Ich glaube, ich rufe besser eine Schwester, damit Sie Ihnen alles erklärt.“

Valentin hielt sie zurück und ergriff ihre Hand. „Hören Sie“, begann er. „Es war meine Schuld, okay? Ich habe die Ampel zu spät beachtet und konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen.“

Sie zwang sich zu einem schiefen Lächeln. „Ist wirklich lieb, dass Sie das sagen, aber die Bull… äh … ich meine, die Polizei sieht das anders.“

Valentin runzelte die Stirn. Echt? Er war erst mitten in der Kreuzung zum Halt gekommen, das wusste er genau!

„Wenn ich jetzt die Schwester hole, kann ich in der Zeit jemanden für Sie anrufen. Wem soll ich Bescheid sagen, was passiert ist?“

Einen ganz kurzen Moment lang dachte Valentin an Cédric, doch er schüttelte hastig den Kopf, nur um laut aufzustöhnen. Den wollte er hier ganz sicher nicht sehen!

„Meinem Boss.“ Er nannte ihr die Nummer, die sie hastig in ihr Smartphone eintippte, bevor sie es schnell wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ.

Er sah ihr nach, als sie zur Tür ging und verschwand.

Käse, echt! Wie hatte das alles nur passieren können? Da passte er mal einmal nicht richtig auf und schon lag er im Krankenhaus! Noch dazu mit etlichen Knochenbrüchen …

Eine Krankenschwester trat ein und kam mit raschen Schritten auf ihn zu. „Wie schön, dass Sie aufgewacht sind, Herr Jeraki. Ich bin Annegret. Und mir wird heute die nicht ganz so angenehme Aufgabe zuteil, Sie über Ihren Gesundheitszustand aufzuklären“, begann sie.

Er nickte schwach und sah sie an. „Na dann mal los. Was fehlt mir?“

„Sie haben zwei Frakturen im linken Bein, geprellte Rippen, ebenfalls links und eine Gehirnerschütterung. Alles in allem sind Sie also relativ glimpflich aus der Sache herausgekommen. Ein Polizeibeamter will im Laufe des Tages noch herkommen, um mit Ihnen über den Unfall zu sprechen. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?“

Er zögerte. Eigentlich wollte er zuerst mit seinem Boss sprechen, aber letzten Endes: Was änderte das?

„Kein Problem. Sagen Sie, wer ist die junge Frau, die hier bei mir war?“ Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sie eben nicht danach gefragt hatte.

Annegret lächelte milde. „Das ist Sara Kordes, sie fuhr den Wagen, der Sie aufs Korn genommen hat.“

„Sie denkt, sie sei schuld an dem Unfall, aber das ist sie nicht. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich das der Polizei möglichst bald mitteile.“

„Tun Sie das. Die Ärmste ist schon seit Ihrer Einlieferung total durch den Wind. Sie hatte Angst, dass Sie stinkwütend sein könnten.“

Valentin nickte. „Das bin ich auch, aber nicht auf sie, sondern auf mich. Okay, sagen Sie mir bitte noch, wie lange ich voraussichtlich hier bleiben muss?“

„Hm, das kann ich nicht beantworten, aber morgen früh bei der Visite wird der Chef Ihnen dazu sicherlich etwas sagen können.“

„Gut, ich werde bis dahin wohl nicht weglaufen.“ Sein Lächeln verrutsche etwas und er versuchte, sich an dem über seinem Kopf hängenden Dreieck hochzuziehen.

Ohne auf seine Bitte zu warten, half Annegret ihm und kippte das Kopfende seines Bettes mit wenigen schnellen Handgriffen in eine Position, die ihm ein einigermaßen bequemes Sitzen ermöglichte – und auch endlich einen Blick auf sein offensichtlich eingegipstes linkes Bein.

„Danke“, sagte er und sie wandte sich zum Gehen.

„Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie.“

Valentin begriff, dass er in den nächsten Tagen wohl kaum auf eine Toilette gehen konnte, und schickte ein paar saftige Flüche in sein Einzelbettzimmer. Wenigstens hatte er beim Benutzen der Bettpfanne keine Zuschauer …

Er hob die Bettdecke an und besah sich den Gips. Tatsächlich, er reichte vom Beinansatz bis zu den Zehen.

„Na halbe Sachen machen die hier offenbar nicht“, murmelte er, als die Tür sich nach einem Klopfen erneut öffnete, und Frau Kordes wieder eintrat. Sie sah deutlich gefasster aus.

„Ich habe Ihren Boss erreicht. Er sagte, er wird sich heute noch hier blicken lassen.“ Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und beobachtete ihn. „Kann ich Ihnen irgendwas Gutes tun? Brauchen Sie ein Buch oder … keine Ahnung … ein Rätselheft oder so?“

Valentin konnte ein Kichern nicht ganz unterdrücken, was ihn schmerzhaft an seine geprellten Rippen erinnerte. Er verzog das Gesicht und biss sich auf die Lippen. „Rätselheft … Ich glaube, so alt bin ich noch nicht. Aber vielen Dank. Das Einzige, was ich derzeit gut gebrauchen könnte, ist mein Laptop.“

Sie grinste. „Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind? Ihr Boss klang nicht so, als würde er Sie möglichst bald wieder an irgendeinem Schreibtisch erwarten …“

„Er erwartet mich höchstens bald wieder in zehntausend Metern Höhe am Steuerknüppel seines Jets. Ich bin Pilot.“ Nur die halbe Wahrheit, aber mehr musste sie nicht wissen. Mehr wusste außerhalb der Firma niemand.

Sie machte große Augen. „Pilot? Wow, das nenn‘ ich nen coolen Job!“

„Fliegen Sie gern?“, fragte er ehrlich interessiert. Das Leuchten in ihren Augen, die endlich nicht mehr ganz so verheult aussahen, veranlasste ihn dazu, sie von dem Unfall abzulenken. Sie litt und das, weil er einen Fehler begangen hatte.

Sie nickte so heftig, dass ihre kurzen Locken wippten. „Total! Leider viel zu selten.“

„Was machen Sie beruflich? Ich meine, Sie sitzen hier mitten am Tag am Krankenbett eines Wildfremden …“

„Ich studiere. Nebenbei jobbe ich in einer Videothek und am Wochenende in einer Kneipe.“

„Ich verstehe. Hören Sie, wenn ich wieder in einen Flieger steigen darf, werde ich Sie mal mitnehmen, okay?“

Wieder riss sie die Augen auf. „Das geht?“

Er nickte möglichst langsam, um seinen noch immer pochenden Kopf zu schonen. „Ja, das geht. Wenn Sie mir sagen, wohin Sie schon immer mal fliegen wollten, kann ich das arrangieren.“

„Das wäre der Hamm… Nein, warten Sie. Das kann ich nicht annehmen. Mark würde vollkommen ausrasten …“

„Mark?“

„Mein älterer Bruder. Ich wohne bei ihm, das erspart mir die Miete …“

„Klingt nach einem netten Bruder. Haben Sie noch mehr Geschwister?“

„Nein, nur ihn. Er ist fünf Jahre älter als ich.“

„Und wieso würde er ausrasten?“

„Na ja, er ist … wie soll ich das sagen? Überfürsorglich? Ja, ich glaube, das trifft es am besten.“

„Dass er sich Gedanken macht, ist doch nichts Schlimmes. In jedem Fall besser als Desinteresse, oder nicht?“

„Ja, schon …“ Sie sah auf ihre Armbanduhr und schürzte die Lippen. „Tut mir leid, ich muss bald gehen. Soll ich Ihnen nicht doch noch ein Buch organisieren? Was lesen Sie gern?“

„Hm, gute Frage, ich bin eher die Comic-Fraktion. Leute, die Bücher lesen, rümpfen über meinesgleichen wohl gern die Nase.“

Sie lachte. „Da würde ich an Ihrer Stelle nichts drauf geben. Manchmal wünschte ich, meine Fachbücher wären in Comicform geschrieben, auch wenn sie dadurch noch dicker würden …“

Ein paar Minuten später klopfte es erneut an der Tür und ein Mann streckte den Kopf herein. „Du bist noch hier, da kann ich ja lange unten warten.“

Valentin beobachtete, wie der Neuankömmling entschuldigend lächelte und näher kam. „Entschuldigung, Mark Kordes. Mein Schwesterchen hat heute Morgen ihren Wagen zu Schrott gefahren und braucht deshalb einen Chauffeur.“

Valentin grinste. Dieser Mark sah nett aus. Nein, eigentlich sah er verdammt gut aus. Groß, dunkelblonde, deutlich kürzere Locken als Sara, im Grunde aber eine ausgesprochen männliche Ausgabe seiner kleinen Schwester. Der Bartschatten um sein markantes Kinn verriet Lässigkeit und Selbstbewusstsein. Der Kleidungsstil ebenfalls.

„Guten Tag. Das ist sehr nett von Ihnen, Ihre Schwester zu kutschieren.“

Mark trat näher und reichte Valentin die Hand. „Freut mich, Sie lebendig und wach zu sehen, aber wir müssen jetzt wirklich los“, er wandte sich an seine Schwester: „Sara, ich habe in einer halben Stunde das nächste Shooting.“

Valentin dachte darüber nach, dass Mark hundertprozentig gut genug aussah, um ein gefragtes Model zu sein, doch er verkniff sich eine entsprechende Frage.

„Deine Superweibchen rennen dir schon nicht weg, nur weil du ein paar Minuten zu spät kommst“, erwiderte Sara, erhob sich aber bereitwillig.

„Kommen Sie gut nach Hause“, ließ Valentin sich vernehmen und lächelte. „Und bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde dem Polizisten, der nachher noch vorbeikommen soll, sagen, dass Sie keine Schuld tragen.“

Valentin fing einen erstaunten Blick von Mark auf.

„Das ist wirklich lieb. Ich komme morgen wieder vorbei, wenn ich darf.“ Sara lächelte.

„Das brauchen Sie nicht. Aber ich freue mich immer über Besuch.“ Valentin wusste nicht, wie er es anders ausdrücken sollte. Klar würde er sich auch morgen gut mit ihr unterhalten, sie war sehr sympathisch. Aber er wollte ihr auf keinen Fall das Gefühl geben, ihm etwas schuldig zu sein. Dann fiel ihm noch etwas ein. „Sind Sie so nett und lassen mir eine Telefonnummer und Adresse hier? Meine Versicherung wird diese Daten brauchen, damit Sie schnell wieder mobil sind.“

Sie schnaubte leise. „Werden Sie gefälligst erst mal wieder gesund!“, befahl sie und öffnete ihre Handtasche, um ihm wenig später einen Zettel mit allen relevanten Informationen zu geben. „Ich habe ihn vorhin geschrieben, als Sie noch geschlafen haben. Aber ehrlich, kümmern Sie sich darum, wenn Sie hier raus sind, nicht vorher, versprochen?“

Valentin wollte schon nicken, doch Mark drängte zum Aufbruch und ersparte ihm damit ein Versprechen, das er hundertprozentig zu brechen gedacht hätte.

Eine halbe Stunde lang zappte Valentin lustlos durch die TV-Kanäle, dann dämmerte er dahin, bis es wieder an der Tür klopfte und sein Boss, dicht gefolgt von einem Polizeibeamten in zivil, eintrat.

Valentin schilderte den Unfallhergang, beharrte darauf, die alleinige Schuld zu tragen und nach einer guten Viertelstunde machte der Beamte sich wieder auf den Weg.

Sein Boss, Raphael Sawra, blieb noch und musterte ihn ernst. „Was ist passiert, dass du so unaufmerksam warst?“

„Cédric … Wir hatten einen ziemlich endgültigen Streit. Ich habe mich von ihm getrennt.“

Raphael runzelte die Stirn. „Trennung? Aus heiterem Himmel? Wenn ich mich recht entsinne, warst du Anfang der Woche noch Feuer und Flamme, als ich sagte, wir fliegen zurück nach Berlin …“

„Ja, schon, aber da wusste ich auch noch nicht, dass mein Freund mir mehr oder weniger seit Beginn unserer Beziehung fremd geht.“

„Oh“, machte Raphael. „Dann verstehe ich deine Wut.“

„Wut? Ich bin nicht wütend, ich bin … keine Ahnung … enttäuscht?“

„Hm, wenn du drüber reden willst …“, begann er.

„Nein, will ich nicht, danke. Aber ich muss dich um ein paar andere Dinge bitten.“

Valentin zählte auf, was er in den nächsten Tagen, möglicherweise Wochen hier im Krankenhaus benötigen würde. Neben Kleidung und Waschkram stand sein Laptop ganz oben auf der Liste. Dann erzählte er Raphael von Sara und ihren autotechnischen Sorgen.

„Kannst du dafür sorgen, dass sie nen Leihwagen auf meine Kosten kriegt, bis die Versicherung das geklärt hat? Im Moment muss ihr Bruder sie überall hinfahren …“

„Muss er? Wieso fährt sie nicht wie jeder normale Mensch in Berlin mit Bus und Bahn?“

„Ich denke, das liegt an seiner … Überfürsorglichkeit, so nannte sie es.“

„Okay, ich regle das. Und wegen deiner Sachen: Ich werde David schicken, um alles bei dir abzuholen und dir zu bringen. Ich bin im Moment ziemlich eingespannt.“

„Schon klar, verstehe ich. Auf jeden Fall danke. David kann dann auch mein Telefon anmelden. Der liebt diesen ganzen Bürokratiequatsch doch.“

„Okay, hast du sonst noch Wünsche? Pizza, MP3-Player, irgendetwas?“

„Nein, ich denke, fürs Erste bin ich versorgt, wenn David mir alles herbringt.“

Raphael verschwand eine gute Stunde später und Valentin fühlte sich beinahe sofort von Müdigkeit übermannt.

Schwester Annegret weckte ihn zum Abendessen, welches er mit Heißhunger bis auf den letzten Krümel verspeiste und anschließend sofort wieder einschlief.


© Nathan Jaeger

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