Leseprobe
MARIO
Tag auch, mein Name ist Mario Willich und ich bin Gottes Geschenk
an die Männlichkeit.
Seit
siebzehn Jahren und elf Monaten atme ich meinen Mitmenschen die Luft weg und
das mit voller Absicht.
Ich bin toll und weiß das auch. Die halbe
Jahrgangsstufe ist scharf auf meinen Hintern, leider nutzt das nichts, weil ich
nun mal nicht auf sabbernde Weiber abfahre. Ich fahre ja schließlich überhaupt
nicht auf menschliche Wesen ab, die die Frechheit besitzen, zwischen ihren
Beinen nichts Hängendes (oder wahlweise Stehendes) zu haben …
Klar, wer’s jetzt noch nicht geschnallt hat:
Ich bin stockschwul.
Aber das weiß keiner. Okay, okay, es wissen schon einige, aber niemand aus meinem aktiven Freundeskreis, meiner Schule oder meiner Familie.
Ist eindeutig stressfreier so, denn meine
Sexualität geht niemanden was an. Wenn ich sie ausleben will, mache ich das über
Onlinekontakte auf diversen Datingplattformen oder in einer Diskothek mit
hauptsächlich homosexuellem Klientel, dem Justify.
In der Schule bin ich nur ‚Super-Mario‘,
vermutlich, weil ich dieses Spiel in der Grundschule mal ziemlich exzessiv
gezockt habe. Voll blöd, weil niemand aus meiner Clique es bislang geschafft
hat, meine Kills bei Counter Strike auch nur anzukratzen.
Ich sag doch, ich bin der Bringer! Und das in
jeder Hinsicht.
„Alter, guck dir die an!“, murmelt Leo, einer
meiner Freunde aus dem Englisch-LK, und blickt träge über den Rand seiner
Sonnenbrille. Ich folge seinem Nicken und bin versucht zu seufzen. Na klar, er
steht auf Weiber, logisch, dass er da keine Gelegenheit auslässt, mich auf die
für mich nicht mal mäßig attraktiven Fahrgestelle weiblicher Badeseebesucher
hinzuweisen.
Wir liegen auf unseren Handtüchern am Waldsee
unserer Stadt und genießen die heiße Augustsonne in vollen Zügen. Ich drehe
mich auf den Bauch und sehe ihn an.
„Wusste gar nicht, dass Modell Mäusefäustchen
für dich neuerdings geil aussieht?“, bemerke ich, denn das Mädchen, um das es
gerade geht, hätte sich das Bikinitop auch locker sparen können.
Wieso dieser See ‚Waldsee‘ heißt, werden wir
wohl nie erfahren, denn hier gibt es weit und breit keinen Wald. Mag daran liegen,
dass das gesamte Naherholungsgebiet hier erst vor einem halben Jahr
fertiggestellt wurde. Man brauchte Sand für die Trasse der Umgehungsstraße und
anschließend bekamen wir ganze drei unterschiedlich große, neue Seen in einem
Randbezirk der Stadt. Neubaugebiet. Also, irgendwie alles hier.
Natürlich haben die ordnungsliebenden
Grünflächenamtsmenschen hier etliche Bäumchen in Reih und Glied aufgestellt,
aber bis man die als Wald bezeichnen können wird, bin ich mit dem Studium
fertig, so viel ist sicher!
„Mann, Willich! Sei doch mal ernst! Weißt du
nicht, wer das is?“, fragt er und rollt die Augen.
„Öhm, nein?“ Weiß ich echt nicht, wird
vermutlich daran liegen, dass weibliche Wesen … na ja, sollte ja nun bekannt
sein.
Interessanter ist für mich da nämlich sogar
Leos Erscheinung. Groß, schlank, an den richtigen Stellen bemuskelt und echt
sexy. Besonders sein Arsch, der in den dunkelblauen Schwimmshorts ziemlich gut
zu erkennen ist.
Kommt natürlich nicht infrage, aber das macht
nichts, Appetit hole ich mir im Grunde überall, das schaffe ich mittlerweile
ohne peinliche Anzeichen von Erregung. Gegessen wird dann in der Disco. Es ist
Donnerstag, mein Aufreißertag! Freitags und samstags treffe ich mit meinen
Heterofreunden und meiner Clique. Wir zocken Ego-Shooter, manchmal auch
Autorennspiele. Es macht jedenfalls immer eine Menge Spaß und keiner ahnt, wo
ich meine Donnerstage verbringe oder wieso ich freitags nicht immer wie das
blühende Leben im Unterricht sitze.
In den Schwulenclub komme ich natürlich, weil
ich einen gefälschten Ausweis habe und durchaus älter aussehe als ich bin. Die
meisten halten mich für knappe zwanzig und seitdem die regelmäßig wechselnden
Türsteher mich kennen, brauche ich den Ausweis eh nicht mehr vorzuzeigen. Schon
praktisch, wenn man nicht grade zu den Erdnuckeln gehört.
Ich bin einsachtundachtzig groß und Schwimmer.
Seit der zweiten Klasse. Ist also wohl nicht schwer zu erraten, was für einen
Körper ich durch die Gegend trage …
„Echt mal, das is Helena Wagner vom Georgs!
Die hat zwei Kurse mit mir …“ Leos Gesäusel raubt mir fast den Nerv.
„Aha. Und was is an der nun so Tolles?“
Ehrlich, ich sehe es nicht! Ich meine, ich bin durchaus in der Lage, schöne
Menschen zu erkennen, fitte Menschen, attraktive Menschen. Also auch Weiber,
klar, immerhin hab ich in den letzten Jahren durchaus kapiert, worauf meine
Heterofreunde so abfahren. Hab quasi Machonachhilfe gehabt …
Obwohl … ich ticke ja letztlich genauso, nur,
dass ich eben auf geile, hübsche, knackige Kerle abfahre.
Leo ist ja so einer, sogar ebenfalls
Schwimmer, wenn auch nicht ganz so enthusiastisch wie ich.
Wir gehen in den gleichen Verein, sind fast
jeden Sonntag auf Schwimmwettkämpfen und an mindestens vier Tagen die Woche
beim Training. Manche Turniere beginnen sogar samstags mit Vorentscheiden, dann
verzichten wir natürlich auf wilde Ausschweifungen am Freitag.
Dieses Wochenende liegt wieder ein Wettkampf
an. In einer Nachbarstadt, also nichts wahnsinnig Aufregendes. Ich mache das
nun schon so lange, dass sich eine unheimliche, vielleicht auch selbstherrliche
Arroganz in mein Gemüt geschlichen hat, sobald ich auf dem Startblock stehe und
auf den Pfiff oder die Startpistole warte. Routine, vermutlich.
Aber da ich das Schwimmen nicht nur
bahnenweise und möglichst schnell mag, gehe ich halt im Sommer auch gern an den
Waldsee.
Etwas Nasses tropft über meinen Rücken und ich
fahre herum, um in das Gesicht von Motte zu sehen, der mich mit seinem
perfekten Zahnpastalächeln angrinst und sein Haar über meinem Rücken auswringt.
„Mann!“, maule ich und richte mich auf.
Alessandro Motte, Halbitaliener und vermutlich mein allerbester Freund, setzt
sich neben mich und streicht sein beinahe kinnlanges, schwarzes - und nun
deutlich trockeneres - Haar nach hinten über den Kopf. Sieht lässig aus, die
Geste, wie immer.
Er lacht. „Stell dich nicht an, Willich, du
sahst aus, als könntest du die Abkühlung brauchen, nachdem du Helena angestarrt
hast wie das achte Weltwunder!“, versetzt er mir und sinkt neben mich auf sein
Handtuch. Seine gut gebräunte Haut mit den vielen Wassertropfen darauf springt
mich förmlich an und ich muss echt einen Augenblick lang mit mir kämpfen.
Motte ist Sex. Hatte sogar schon welchen mit
ihm … also, so ungefähr jedenfalls, wenn man gemeinsames Wichsen mit vierzehn
mitzählen darf … Ich bin da heute extrem großzügig und zwinge mich, wieder in
sein Gesicht zu sehen.
„Ich?“, reagiere ich total lahm und runzle die
Stirn. „Leo findet sie scharf, keine Ahnung was an zwei Erbsen auf einem Brett
so toll sein soll!“ Mein Ton ist hoffentlich verächtlich genug, leider wandert
mein Blick zeitgleich auf Mottes Brust … seine erbsgroßen Nippel auf der
trainierten Brust sind für mich jedenfalls deutlich anziehender als Helenas
nicht vorhandene Möpse.
„Oh? Leo? Hast du Todessehnsucht?“, fragt
Motte frech und ich wende mich ruckartig ab. Echt mal, meine Freunde sind
allesamt solche Testosteronschleudern, dass ich mich erst mal in Ruhe auf der
Liegewiese umsehen muss.
Die Sommerferien sind geil, vor allem, weil
wir noch zwei Wochen davon haben! Und ich gedenke, mir für heute Abend noch
woanders Appetit zu holen als bei meinen besten Freunden!
Ich stehe auf und gehe in Richtung Ufer,
während mein Blick noch einmal zu den Jungs geht. „Ich schwimm einmal durch,
bis später“, sage ich und gehe über den künstlichen Strand auf die kreischenden
Kinder mit Wasserbällen, Schwimmflügeln und überforderten Eltern zu, weiche
einem Federball aus und atme erleichtert auf, als ich durch das langsam tiefer
werdende Wasser gehe.
Schnurstracks schwimme ich auf die Perlenkette
zu, die von drei Bojen gehalten den Schwimmbereich für Kinder und mäßige
Schwimmer markiert.
Dazu gehöre ich nun echt nicht, deshalb tauche
ich darunter hindurch und steuere die hölzerne Badeinsel an, die im tiefen
Wasser dieses größten Sees des Parks verankert ist. Die meisten Schwimmer
schaffen es, sie zu erreichen, sie liegt vielleicht fünfzig Meter hinter der
Perlenkette. Die Badeinsel ist mir dann aber doch zu voll. Halbwüchsige Jungs,
die kreischende, sonnenbadende Mädels ins Wasser werfen, im Grunde gefällt mir
diese Ausgelassenheit.
Aber darauf habe ich keinen Bock, vielleicht
auch deshalb, weil ich so auf Anhieb niemanden von den Anwesenden erkenne.
Also drum herum und ab durch die Mitte, wie
man so schön sagt. Nur, dass ich nicht auf der Flucht bin, sondern in langen,
kräftigen Brustschwimmzügen durch den See pflüge.
Meine liebste Disziplin, übrigens.
Herrlich, das Wasser, mag es auch noch so
durchgewärmt sein von den Wochen voller Sonne, kühlt meinen Kopf bei jedem
Eintauchen angenehm herunter, und ich fühle mich frisch und frei.
Seltsam, oder, Wasser macht mich frei. Ganz
einfach, weil es mich schweben lässt, weil es sich anschmiegt und mich umfängt,
weil es mir erlaubt, mich in ihm fortzubewegen …
Super, fange ich jetzt echt an zu
philosophieren?!
Egal, alles egal, solange ich im Wasser bin
und mich niemand ausbremst, wenn ich mein eigenes Tempo haben will.
Lautes Johlen, das nicht von der mittlerweile
weit hinter mir liegenden Plattform kommen kann, stört meine Ruhe und ich
unterbreche den aktuellen Schwimmzug. Wassertretend sehe ich mich um und
streiche mir das nasse, an meiner Stirn angeklatschte Haar aus dem Gesicht. Mit
zusammengekniffenen Augen scanne ich meine Umgebung und lausche auf weitere
Geräusche.
Nun kann ich, weil das Gebrüll nicht mehr
durch mein Abtauchen unterbrochen wird, verstehen, was da gerufen wird.
„Hört auf, verdammte Scheiße!“ Eine
angsterfüllte Stimme, klingt nach jemandem, der ernste Probleme hat. Und dann
sehe ich sie.
Es sind vielleicht sechs oder sieben, so genau
kann ich das durch den grellen, von der Wasseroberfläche blendenden
Sonnenschein nicht sagen, außerdem sind sie alle zu sehr in Bewegung.
„Komm schon, Nate, ist doch alles nur Spaß!“
Die Bande ist natürlich an einer wilden Bucht
des Sees.
Prusten, dann wieder die verzweifelte Stimme.
„Krampf!“, brüllt sie und ich sehe, wie die anderen einen gerade erst
aufgetauchten Kopf wieder untertauchen.
Ich weiß sehr genau, dass die anderen
Uferbereiche des Gewässers nicht aus Spaß von ‚Schwimmen verboten‘-Schildern
gesäumt sind.
„Blöde Schwuchtel! Verstehst du etwa keinen
Spaß?“
Nur der Strand, an dem auch ich mit meinen
Freunden immer herumlungere, ist von Leuten der DLRG versorgt und wird bewacht.
Nur dort haben die Stadtplaner darauf verzichtet, tiefe Gräben in den Grund des
Sees zu ziehen, als sie ihn ausbaggern lassen haben.
„Lasst mi…!“ Scheiße, tauchen die den Typen
mit dem Krampf immer wieder unter?!
Es gibt dort, wo die Jungs und Mädels sich
herumtreiben, viele Strömungen und große Temperaturunterschiede im Wasser, die
gern unterschätzt werden.
Das kann echt verdammt gefährlich werden und
klingt nicht mehr nach einem albernen Spaß unter Freunden!
Ich schwimme näher heran, weiß aber nicht so
ganz, was ich da eigentlich ausrichten will. Immerhin sind die in der klaren
Überzahl und vor allem bin ich mir noch nicht sicher, ob das Ganze nicht doch
nur ein blöder Streich ist.
Ich stehe nun nicht grade darauf, mich zum
Affen zu machen, indem ich mich in was einmische, was mich im Grunde nichts
angeht …
„Krampf!“, brüllt der Untergetauchte erneut
und schnappt hastig nach Luft, während er mit einem Gurgeln wieder versenkt
wird.
Hey, ich bin kein Schisser und kein Trottel,
ich bin Schwimmer. Ich weiß um die Gefahren, die in einem solchen Baggersee
lauern können. Immerhin ist das Wasser da bei denen an manchen Stellen mehr als
zehn Meter tief!
Idioten, echt! Das ist kein Spaß mehr!
„Dieses Weichei, von wegen auch Schwuchteln
sind harte Jungs!“
„Echt, voll die Memme!“
Ein paar der Jungs wenden sich ab, schwimmen
in Richtung Ufer, aber nicht alle. Außerdem warte ich jetzt schon drei
Schwimmzüge lang darauf, dass der Angegriffene wieder auftaucht …
Ich bin nicht mehr allzu weit weg, und wenn
ich irgendwas tun will, muss ich die Idioten da schon überraschen.
Ich peile die Richtung und tauche ab. Viel
sehen können werde ich nicht, aber einen menschlichen Umriss sollte ich im
Wasser schon erkennen …
Drei Züge, vier, fünf, dann sehe ich etwas
Zappelndes vor mir, fasse danach und tauche mit einem kräftigen Beinschlag auf.
„Lasst die Scheiße!“, brülle ich wütend und
hoffe, dass meine eindrucksvolle Statur wirklich eindrucksvoll genug ist. Das
Chaos ist perfekt. Natürlich überrascht es die Umstehenden, meiner so plötzlich
ansichtig zu werden. Ich ziehe den halb Ertränkten nach oben und sehe ihn
prüfend an, bevor ich mich mit den anderen Typen auseinandersetzen muss.
„Scheiße, wo kommst du denn her?!“, fragt
einer der Witzbolde.
„Aus dem Wasser? Bist du wirklich so blöd, das
noch laut zu fragen?!“, schieße ich zurück und hebe meine geballten Fäuste aus
dem Wasser. Sollen sie ruhig sehen, wie wütend ich bin.
Leider sind einige der anderen nicht weniger
gut gebaut als ich. Ganz sicher Sportler, keine Ahnung, aber meine Chancen, das
hier ohne eine echte Abreibung zu überstehen, schmelzen dahin wie Eis in der
Sonne.
Jemand schiebt mich ruckartig weg, ich starre
in die entsprechende Richtung.
„Mann, was mischst du dich denn ein?!“, blafft
mich ausgerechnet der eben so heldenhaft von mir Gerettete an.
Na schönen Dank auch! Ich meine, er muss mir
ja nicht gleich die Füße küssen, aber das ist nun echt ne Nummer zu krass!
„Wer is’n das, Nate? Dein Stecher?“ Hämisches
Lachen folgt den Worten.
„Oder hält er für dich den Arsch hin?“
„Spinnt ihr? Ich kenn den Typen doch gar
nicht!“
Oh, klar ich sehe ungefähr so schwul aus wie
ein Navy Seal, aber bitte. Dieser Nate weicht vor mir zurück und geht noch
einmal unter. Na, bravo. Hat der immer noch nen Krampf?
„Was seid ihr denn für Vollpfosten?! Der hat
nen Wadenkrampf und taucht grad in den Graben ab!“ Keine Reaktion der anderen.
Zwei weitere winken ab und wenden sich zum Ufer. Super, echt klasse. Und ich
hab diese kratzbürstige Schwuchtel am Hals, die sich offensichtlich die
falschen Freunde ausgesucht hat?
Ich seufze und tauche hinterher. Ist schon
echt schlau, so nah an dem Graben zu bleiben … Aber vielleicht hat er
tatsächlich keinen Plan von den Gefahren, die hier lauern?
Macht echt Spaß, meinen freien Tag so zu
verbringen, aber hey, ist wohl auch eine Form von Training, oder? Drei Züge
lang tauche ich nach unten, dann pralle ich in der hier total abgewirbelten
Sandsuppe gegen einen Widerstand und packe ihn. Ein Arm. Na gut, nichts wie
nach oben, bevor der Typ doch noch absäuft …
Ich zerre ihn vom Graben weg, bevor ich ihn
erneut loslasse, seinen Fuß ergreife und ihm das Bein wegziehe, um die Zehen in
Richtung Knie zu drücken, bis er erstickt aufschreit und wild mit den Armen zu
rudern beginnt.
„Mann, halt endlich still, du Penner! Dieses
Gezicke darfst du dir für deine tollen Freunde aufheben, klar?!“
Ich drücke noch einmal fester und lasse
schließlich los.
„Ey, das tut scheißeweh!“, meckert er und ich
ignoriere ihn eiskalt. Mitleid ist hier fehl am Platz.
Ist mir auch echt zu blöd. Über das hier etwas
erhöhte Ufer hinweg kann ich sehen, dass seine Kumpels sich gerade vom Acker
machen, inklusive der meisten Mädels, die das Schauspiel eben noch mit
hektischen Rufen untermalt haben.
„Sieh lieber zu, dass du zu deinen ‚Freunden‘
kommst.“
Mir kann es echt am Arsch vorbeigehen - im
wahrsten Wortsinne.
Ich wende mich um und stürze mich wieder in
die Fluten. Nichts wie weg, bevor ich mir noch irgendwelche blöden Sprüche
anhören kann.
Klar, ich bin extrem sauer. Was soll denn so
ein Theater? Ich meine, reicht es nicht, sich einfach mal saublöd aufzuführen?
Von der Wahl seiner Freunde mal ganz zu schweigen. Aber hey, er ist schwul …
Ich tauche für zwei Züge komplett ab und
versuche, meinen Kopf zu kühlen. Nur nicht nachdenken. Außerhalb des Clubs
treffe ich mich ja nur mit Schwulen, die ich vorher im Netz aufgegabelt habe.
Da weiß ich also, wann sie mir wo über den Weg laufen und sie wissen dann auch
ganz genau, was ich von ihnen will.
Mir kommen die Vermutungen von Nates Freunden
wieder in den Kopf. Der mein Stecher? Ich seiner?
Gleichzeitig sehe ich ihn wieder vor mir. Ich
meine, der Typ ist blöd im Kopf, aber dafür sieht er mal affengeil aus, glaube
ich.
Er dürfte ungefähr so groß sein wie ich, sah
auch durchaus so aus, als würde er in der gleichen Sportart seine Freizeit
verbringen wie seine tollen Freunde. Nett gebaut, ganz sicher.
Ich glaube, sein Haar ist hellbraun, seine
Augen habe ich nicht weiter beachtet, aber er hat ein schmales, dabei markantes
Gesicht. Hohe Wangenknochen und einen klar definierten Unterkiefer.
Um ehrlich zu sein, wenn ich ein Bild von dem
auf meiner Datingplattform oder ihn selbst im Club sehen würde, wäre er auf
meiner Speisekarte durchaus willkommen. Ich grinse breit, als ich wieder
auftauche, und drehe mich auf den Rücken, um noch einmal zum Ufer zu sehen.
Er klettert gerade aus dem Wasser und sieht in
meine Richtung. Im gleißenden Sonnenlicht wird er Schwierigkeiten haben, mich
hier zu erkennen. Ist besser so, ganz klar.
Aber nun sehe ich ihn dafür einmal komplett.
Meine Fresse, hab ich vorhin gesagt, Motte sei Sex?
Wenn er es ist, hat er - zumindest in meinem
Empfinden - echte Konkurrenz bekommen.
Macht nix, immerhin ist Motte ne Hete, fällt
also sowieso aus dem Raster. Und ob ich was mit meinem besten Freund anfangen
wollen würde … das steht echt in den Sternen. Mir ist die Freundschaft zu ihm
einfach zu wichtig!
Aber dieser Nate …?
Dumm genug ist er ja offensichtlich, wenn er
sich bei den falschen Leuten outet und dann noch denjenigen anbrüllt und
schubst, der ihn rettet.
Ich meine, ich bilde mir jetzt echt nix auf
meine Hilfe ein, ist einfach normal für mich, nicht wegzugucken, wenn einer mal
Unterstützung braucht. Aber es ist schon krass, dass er mit diesen Typen
abhängt.
Sind vielleicht wirklich sein Team plus
Freundinnen gewesen?
Während ich mich wieder umdrehe und den Weg
zurück zum Strand antrete, überlege ich, was das wohl für ein Team gewesen sein
könnte. Die waren nicht alle megagroß und muskulös, aber doch einige recht
eindrucksvoll.
Weil ich auch nach der gedanklichen Aufzählung
von allen mir bekannten Mannschaftssportarten meiner Heimatstadt nicht darauf
komme, was die machen könnten, gebe ich es auf.
Trotzdem überlege ich, dass sie wirklich seine
Freunde sein müssen, sonst hätten sie ihn nicht ‚Nate‘, sondern wohl eher Nathan
oder Nathaniel genannt, oder nicht?
Vielleicht isses auch sein Nachname in
abgewandelter Form? Immerhin nennen wir innerhalb unserer Clique auch fast
jeden beim Nachnamen oder einem Spitznamen …
Zehn Minuten später richte ich mich am
seichten Ufer wieder auf und gehe über den Strand zurück zu meinen Freunden.
Motte verdient noch eine kleine Rache für die Wassertropfenattacke von vorhin.
Da ich aber im Gegensatz zu ihm nur vier Zentimeter langes Deckhaar habe, muss
ich zu anderen Mitteln greifen und setze mich auf seinen Hintern um meine Hände
um seinen Nacken zu legen, als er versucht, hochzukommen.
„Mann, Willich! Machst du deinem Namen wieder
alle Ehre?“, faucht er und ich rolle mich lachend von ihm, während ich ihn
mitziehe.
Wir balgen herum, vollkommen normal für uns.
Und ich befürchte einfach, dass genau dieser locker-leichte Umgang miteinander
abrupt enden würde, wenn ich mich bei ihm als schwul zu erkennen gäbe.
Vielleicht unterstelle ich ihm damit etwas
viel zu Böses, aber ich hab halt einfach das Gefühl, er könnte damit eventuell
nicht mehr umgehen.
Dazu kommt das, was ich vorhin erlebt habe.
Nates Coming-out ist offensichtlich genauso ausgeartet. Obwohl … ich habe
natürlich nur einen Ausschnitt erlebt, eine Momentaufnahme. Vielleicht sind sie
sonst ganz anders zu ihm?
Immerhin habe ich keinen blassen Dunst, wann
er ihnen von seiner Vorliebe für Männer erzählt hat …
Ich unterbreche das Gebalge bei meinen trüben
Gedanken und Motte schafft es, mich am Boden festzupinnen. Er sitzt auf meinem
Schoß, umklammert meine Handgelenke und drückt sie über meinem Kopf auf den
Rasen. Natürlich liege ich nicht einmal mehr halbwegs auf einem unserer
Handtücher.
Er beugt sich naturgemäß zu mir, als er meine
Hände gegen den Boden drückt und ich schließe die Augen, um nicht darüber
nachzudenken, dass sein Schwanz gerade gegen meinen gepresst wird. Scheiße, ich
muss an was anderes denken, nicht an seinen Luxuskörper und seine goldbraune
Haut, nicht an sein schwarzes Haar, das ihm nun seitlich ins Gesicht hängt,
nicht an sein triumphierendes Lächeln, das seine blauen Augen zum Strahlen
bringt.
Klar, ich Trottel muss ja wieder hingucken, um
zu sehen, wie er schwer atmend ernst wird. Seine Haarsträhnen kitzeln auf
meinen Wangen, so nah ist er mir.
„Gibst du auf?“, fragt er mit belegter Stimme.
So belegt, dass ich mich schon aus Solidarität räuspern will. Quasi im Reflex.
Ich nicke angehackt, schaffe es aber nicht, den Blick von seinem zu nehmen.
Motte, verdammt, du hast ja keine Ahnung, wie
geil ich dich finde!
Ich schlucke hart, unterdrücke ein Stöhnen,
und er lässt mich trotz meines Nickens nicht los.
„Sag es“, murmelt er und ich spüre den Luftzug
auf meiner noch immer feuchten Haut. Ist das noch vom Wasser oder schwitze ich?
Keine Ahnung, jedenfalls ist mir mörderisch heiß, und wenn er nicht sofort
aufhört, seinen Schwanz gegen meine Lenden zu pressen, werde ich Mühe haben,
aus dieser Nummer wieder herauszukommen, ohne ihm doch alles zu beichten.
„Ja“, würge ich hervor. „Ich … gebe auf!“
Bitte, geh runter von mir! Das ist nicht gut,
gar nicht gut!, flehe ich im Stillen.
Tja, wäre doch auch zu schön, wenn er diesen
einen Gedanken ausnahmsweise lesen könnte, oder nicht? Dann würde er mich
vielleicht loslassen und mich nicht mit dem Duft seiner nach Sonne riechenden
Haut foltern!
Ich bin wie hypnotisiert, als seine Lippen
meine streifen, ganz sicher verdeckt von seinem Haar. Ein Stromschlag schießt
durch meine Haut in meinen Körper und ich schüttle ihn mit einem Aufbäumen von
mir ab, bevor ich die größte Dummheit meines Lebens begehen kann.
Er landet ein wenig unsanft neben mir und am
liebsten würde ich ihn sofort an mich ziehen. Darf ich aber nicht.
Stattdessen starre ich ihn groß an, werfe
einen hastigen Blick über meinen, dann über seinen Körper und blicke
schließlich wütend in sein Gesicht.
Was fällt ihm ein, mich so in die Bredouille
zu bringen?!
„Was sollte das?“, zische ich ihn an und reibe
mit dem Handrücken über meinen Mund, damit das wahnsinnig machende Kribbeln
endlich daraus verschwindet.
Ehrlich, was soll denn das? Er kann mich doch
nicht einfach küssen! Er ist mein bester Kumpel, noch dazu heterosexuell! Oft
genug erzählt er mir von seinen weiblichen Eroberungen, manchmal sogar vom Sex
mit ihnen!
Und dann wagt er es, mich hier auf der
vollbesetzten Liegewiese zu küssen, wo uns wirklich jeder sehen kann?!
„Nichts“, blafft er zurück und sieht nicht
weniger wütend aus als ich. Na bravo, nun habe ich Streit mit Motte.
Ausgerechnet!
Er rappelt sich auf und wendet sich ab.
Sprachlos sehe ich ihm nach und lege mich wieder richtig auf mein Handtuch. Leo
ist eingepennt, die anderen sind anscheinend irgendwo auf dem Gelände.
Vielleicht am Kiosk oder bei irgendwelchen heißen Weibern.
Ich trockne mich nicht ab, rolle mich auf den
Bauch, suche meinen MP3-Player aus meinem Rucksack und schalte mein aktuelles
Hörbuch ein, um eine Runde zu pennen. Bei der Geräuschkulisse hier ist das
anders kaum möglich.
Nur noch auf diese angenehme, weiche Stimme
lauschend, die mir einen Fantasyroman vorliest, versuche ich, meine Atmung
endlich zu beruhigen und nicht weiter über Mottes seltsames Verhalten
nachzudenken.
Ich frage mich, ob der Sprecher - er heißt
Anders Krefelder - auch schwule Hörbücher gemacht hat. Ich mag ihn wirklich,
hab einige Bücher, die er gesprochen hat. Aber bisher habe ich nie geguckt, ob
es auch Hörspiele oder Hörbücher mit homosexuellen Themen gibt. Ich muss ja
bezüglich meiner Geheimhaltung immer sehr darauf achten, was ich mache. Ich glaube,
Motte würde echt blöd gucken, wenn ich plötzlich schwule Bücher im Regal hätte
… Deshalb beschränke ich mich derzeit darauf, mir die ganze Gay-Literatur als
E-Books für meinen Reader zu holen. Der ist passwortgeschützt.
Anders’ Stimme lullt mich tatsächlich ein,
beruhigt mich und gönnt mir einen Ausflug in eine Fantasywelt, die so herrlich
bunt und idyllisch ist, dass ich schließlich wirklich verdrängen kann, was eben
passiert ist.
Erst Stunden später, gegen achtzehn Uhr,
packen wir so langsam unser Zeug und machen uns auf den Weg. Das heißt, Motte
und ich machen das. Leo, Sascha und Gernot bleibt noch.
Normalerweise würde auch Motte noch in der
Sonne liegenbleiben, aber irgendwie habe ich den Eindruck, der will mit mir
über diese Scheiße von vorhin reden.
Ich will ins Justify heute Abend, Motte
weiß nur, dass ich später noch ‚ein Date‘ habe. Ich steige auf mein Fahrrad und
trete in die Pedalen, kaum dass er neben mir ist.
Meine Sonnenbrille ist ebenso verspiegelt wie
seine, trotzdem bemerke ich seine Seitenblicke immer wieder, und sobald ich sie
zurückgebe, wendet Motte den Blick nach vorn.
„Wegen vorhin …“, beginnt er schließlich.
„Ja?“ Mein Ton ist zu hart, zu schroff, das
zeigt mir auch die Tatsache, dass er ein wenig zusammenzuckt.
„Können wir … mal kurz anhalten, da hinten?“
Ich nicke und seufze ergeben. Was bleibt mir
anderes? Ich weiß so gut wie er, dass wir darüber reden müssen, obwohl
totschweigen langsam aber sicher wie eine echte Alternative klingt.
Wir halten am Rand des Radweges unter ein paar
Bäumen und stellen die Räder ab. Motte klettert mit fahrigen Bewegungen auf die
Parkbank und setzt sich auf die Rückenlehne. Seine schneeweißen Shorts bringen
seine gebräunten Beine wahnsinnig gut zur Geltung und ich schlucke hart,
während mein Blick höher gleitet und ich ihn ansehe.
„Kannst … du dich hersetzen?“, fragt er und
ich nicke. Wenig später sitze ich neben ihm.
„Was willst du sagen?“
„Ich … das vorhin … tut mir wirklich leid,
Mario“, sagt er und fordert damit eine hochgezogene Augenbraue von mir ein. So
nennt er mich nur sehr selten! Ich bin ‚Willich‘ oder eben ‚Super-Mario‘. Es
ist ihm also sehr ernst, was auch immer da jetzt noch kommen mag.
„Schon okay.“
„Nein, ich … echt, ich weiß auch nicht, wie
ich dir das sagen soll!“, spricht er weiter und nimmt die Sonnenbrille ab.
Reflexartig setze ich auch meine ab und sehe
ihn stirnrunzelnd an. „Ja?“
„Okay, also, das is echt nich leicht,
verstehst du?“ Er reibt sich über das Kinn und starrt auf meine Lippen oder so.
Ganz genau kann ich es nicht sagen. „Ich will nicht, dass du was Blödes von mir
denkst oder nicht mehr mein bester Freund sein willst, wenn ich es dir sage …“
„Was denn?“, frage ich alarmiert. Echt mal,
sein Gestammel macht mich nervös!
Er atmet tief durch, sieht auf die
Sonnenbrille in seinen Händen und murmelt: „Ich bin schwul.“
Blinzeln. Schlucken. Nachdenken. Kapieren.
„Du bist …?“, wiederhole ich und breche ab.
Hallo? Motte ist schwul? Mein Motte? Mein bester Freund seit
Kindergartenzeiten?
Ich bin versucht, aufzuspringen und einen Freudentanz
aufzuführen, aber das wäre wohl doch unpassend.
„Ist doch okay“, sage ich nur. Keine Ahnung,
wieso ich ihm nicht gleich brühwarm um die Ohren haue, dass ich genauso auf
Männer abfahre …
„Du … bist nicht sauer?“
Ich lache hart auf. „Wieso sollte ich? Ist
doch nix, was man sich aussucht …“
„Stimmt. Hab lang genug versucht, es zu
unterdrücken, aber das wird mir zu blöd.“ Er klingt frustriert und das ist er
wohl auch.
„Deshalb vorhin der Kuss?“, frage ich wider
besseres Wissen.
Er nickt und springt auf, bevor er hin und her
rennt, ohne mich anzusehen. „Scheiße, Mann, ja! Wie du da unter mir gelegen
hast … dein Blick, du hast dir über die Lippen geleckt und irgendwie wollte ich
wissen, wie es ist, dich zu küssen!“
„Wow, Motte!“, hauche ich und springe
ebenfalls auf. Mitten in seinem wilden Auf- und Abgang stelle ich mich in
seinen Weg und ergreife seine Oberarme. Irritiert sieht er mich an und bleibt
stocksteif stehen.
„Was?“, fragt er.
„Na ja … äh … Ich … Motte, ich bin auch schwul
…“
Er schluckt, blinzelt, reißt sich los und
stolpert ein paar Schritte rückwärts. „Klar doch, guter Gag, Mario! Ich erzähle
dir hier mein größtes Geheimnis und du verarschst mich!“
Ich staune. Das denkt er doch nicht wirklich?
„Quatsch! Mann, hab ich dir je von ner Frau erzählt, die ich toll finde?“
Er starrt mich finster an. „Nein?“
„Na also! Mann, ich hab dir doch nur nix
gesagt, weil ich deine tausend Weibergeschichten kenne und dachte, wir könnten
nich mehr so unbeschwert miteinander umgehen, wenn ich es dir sage!“
„Dann … meinst du das ernst? Du stehst auf
Kerle?“
Ich nicke und grinse. „Ziemlich, ja. Was
meinst du denn, wo ich jeden Donnerstag bin?“
„Keine Ahnung!“
„Im Justify oder bei nem Sexdate mit nem Typen
ausm Netz!“
„Wow, du … bist ne Schlampe?“ Oh, da hat einer
recherchiert. Na ja, nicht anders zu erwarten …
„Nö, ich ficke nur rum …“
Er lacht ungläubig auf. „Das ist das Gleiche!“
„Wie man’s nimmt … Ich bin halt ein geiler Typ
…“
„Unbestritten“, murrt er.
„Bist du Top oder Bottom?“
„Ich bin … äh … keine Ahnung?“
Okay, das heißt dann wohl, er ist ne Jungfrau
… „Hast du heute Abend schon was vor?“
„Nein, noch nicht.“
„Dann lass uns nach Hause fahren, uns
fertigmachen und ins Justify gehen.“
„Whoa, Mann, da komm ich doch gar nich rein!“
Ich grinse. „Kalte Füße?“
Gleichzeitig kommt mir der Gedanke, dass er
womöglich wirklich nicht der Typ für reines Geficke ist. Was, wenn er sich
verliebt hat oder wenn er sich da in den Erstbesten verknallt?
„Nein! … Oder … doch, ich glaub schon …“
„Okay, dann, lass uns jetzt nach Hause und du
kommst nachher zu mir rüber, was sagst du?“
„Und dann?“
Ich lächle nun deutlich netter. „Dann werde
ich dir Rede und Antwort stehen, damit du weißt, wie das so läuft.“
Ich atme tief durch, als er nickt. Mann, was
für ein Ding!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen